…es ist schon gut, dass du selber sagst, dass dein Kopf nicht mehr mitkommt, denn so muss man dir schon nicht sagen, dass dein Kopf möglicherweise nicht mehr mitkommt. Wie du in einer Ansammlung all dessen, was schon bei Clifford Stoll Quatsch war, munter Zeug zusammenwirfst, das nicht zusammengehört, ist allein schon großartig. Da noch eine Prise unreflektierte Technikkritik dazu und einen entlarvend großen Schuss Angst des Gatekeepers beim Kontrollverlust, und fertig ist der Dreiseiter bei SpOn, der hält, was der Titel verspricht. Schön ist das alles ja. Aber wenn sowas angesichts der kommenden Informationsflut in Bälde nirgends mehr rezipiert wird, wärs auch nicht schade drum. Bis dahin ein wenig Gegenrede.
Auf der ersten Seite gehts noch durchaus – ich halte es nur nicht sonderlich klug von einem bekannten Chefredakteur zu sagen, dass ihn exakt das überfordert, was eben schon immer der Job eines Chefreds ist – Informationen zu filtern, Relevantes von Irrelevantem, Wichtiges vom Unwichtigen zu trennen. Das machten die Zeitungen die ganzen letzten Jahrzehnte, und immer saß eben irgendwo jemand, der das letzte Wort hatte und sagen musste, was jetzt wichtig ist und was nicht. (Das tun jetzt zugegebenermaßen viele andere auch. Vielleicht besser, vielleicht schlechter, und sie haben statt dir nun eben Computer, die ihnen dabei helfen.) Aber wenn man das wie du eh den lieben langen Tag macht, dann ist es herzlich egal, obs nun permanent aus dem Ticker oder dem Feedreader quillt. Im Rahmen des (zugegeben, schon wieder abklingenden) Interesses an sowas wie Depression, Selbstzweifel und Leistungsdruck find ich es aber prima, dass du das auf so persönliche Weise thematisierst. Endlich mal in einem Nicht-Enke-Kontext, das tut nach dem, hihi, ungefilterten Medienhype grade richtig gut.
Auf der zweiten Seite kommen die inhaltlichen Patzer. OK, schon auf der ersten, denn das Gerede von den Exabyte an Daten ist Unsinn. Auch vor 50 Jahren muss man nur die Informationsflut nur passend messen, dann kann man beliebiges Volumen ausrechnen. Man stelle sich die quasi unendlichen Bitmengen vor, mit denen analoge Musikaufnahmen das Hirn plätteten, da sind die 128kBit/sec einer typischen mp3 heute ein Witz. Ich denk, du verstehst, was ich meine. Aber Seite zwei, kleiner Seitenhieb zu Beginn: Der Kampf um Aufmerksamkeit habe „jetzt erst Verlage und Zeitungen, Fernsehen und die Musikindustrie getroffen“, ist das Dramatisierung, Selbstironie oder hast du tatsächlich nicht bemerkt, dass der schon vor einigen Jahren getroffen hat und jetzt allenfalls von den genannten „Opfern“ zugegeben wird, dass man das eben selbstzufrieden verschlief? Und wenn ich schon bei den Seitenhieben bin: findest du es nicht ein wenig ironisch, dass du die stattgefundene Demokratisierung der Aufmerksamkeit sowie der Aufmerksamkeitsgenerierung – Brecht, Radiotheorie, anyone? – ausgerechnet in eine Marxismusschublade mit dem Etikett „Ausbeutung“ steckst?
Nee, findest du nicht, denn genau das führst du mehr oder weniger direkt weiter – weniger direkt ist die öffentliche Artikulation und selbstbestimmte Filterung der Information für dich keine Demokratisierung, kein Zuwachs an Teilhabe, sondern schlicht und ergreifend dass Füttern des Googlemonsters. Zu deutsch: wenn ich deine Jammerklage hier auf einem praktisch unoptimierten Blog ohne Werbung öffentlich kritisieren kann, dann beute ich mich für Google aus. Wenn du drei Seiten lang auf dem durchaus ordentlich SEO-getunten SpOn mit seinen durchaus wahrnehmbaren Werbeträgern andere davor warnst, am Netz teilzuhaben und sich von Google deinen Gatekeeper-Job abnehmen zu lassen, dann ist das Gesellschaftskritik.
Denn jetzt kommts knüppeldick – wenn Menschen zum ersten Mal in der Geschichte eine globale Kommunikations- und Artikulationsplattform gegeben wird, dann bedeutet das für dich… na? Partizipation? Demokratisierung der Medien? Nein. Das bedeutet „Zunächst Profit.“ Und dann Orwells 1984. Weil wir uns „in fast allen Bereichen der autoritären Herrschaft der Maschinen unterwerfen.“ (Am Rande bemerkt: unser Geld geben wir noch echten Menschen). Weil „…wir durch unsere Kommunikation mit Computern berechenbar werden“. Da wünscht man sich doch glatt die Zeit der Holzmedien zurück, in denen einige wenige Institutionen die Öffentlichkeit schufen und sowas wie Agitation, Propaganda, Volksverdummung und -verhetzung durch deren wehrhafte Haltung nie möglich waren.
Es folgt ein wenig Datenschutzbeschwörerei, die man durchaus lesen könnte, wenn man sich nicht selber jahrelang im ach so verblödenden Netz die Finger gegen die „Wer nichts zu verbergen hat…“-Salbaderei der Altmedien wundgetippt hätte. So macht der Abschnitt eben unbestimmte Angst vor den Folgen der Partizipation, und endet entsprechend wirr mit „Aber indem sie [die Software] uns analysiert, reduziert sie immer mehr unser Gefühl dafür, dass wir wählen können und einen freien Willen haben.“ Das ist schon fast Dada, insbesondere im Kontext, dass es hier um Technik geht, die eine nie gekannte Wahlmöglichkeit der Informations- und Partizipationsmöglichkeiten erzeugt, aber es kommt noch besser. Denn nun wird vor der Informations- und Medienmonopolisierung gewarnt:
„Angesichts der fast unendlichen Fülle an Websites würde jeder mehr oder minder seinen eigenen Vorlieben folgen, sich mit seinen Interessen verlinken…. so dass am Ende eine sehr zufällige, demokratische und unkontrollierbare Struktur entsteht.
Aber seit den Forschungen des Physikers Albert-László Barabási müssen wir umdenken. Er hat herausgefunden, dass die gesamte Struktur des Internets Machtgesetzen folgt.“
Das schreibst du *im Ernst* auf einer „Themenseite Internetnutzung“ von SpOn, der mit seinen Themenseiten und in der Tat sehr ordentlichen Autolinks eben diese Machtgesetze reproduziert, die du kritisierst. Aber, hihi, natürlich bei „Google und Yahoo“.
Was folgt, kann ich nicht mehr wirklich kritisieren, weil es in meinen Augen, nimms mir nicht übel, wirres Gerede ist. Deterministische Algorithmen des Internet, die wir nicht durchschauen, die aber unser Leben bestimmen und entfremden, weil die „wertvollsten menschlichen Verhaltensweisen durch Nicht-Vorausberechenbarkeit gekennzeichnet“ sind. Diese wertvollen Verhaltensweisen soll daher die Erziehung verstärkt vermitteln. Das Netz kann es nicht, denn es ist deterministisch.
Um dich zu zitieren: „…das Denken wandert buchstäblich nach außen; es verlässt unser Inneres…“
Den Eindruck hatte ich nach Lektüre deiner Schlussworte auch gewonnen, ja. Dein Zusatz „…und spielt sich auf digitalen Plattformen ab“ meint hoffentlich, dass dort dann Unsinn als solcher benannt und kritisiert wird.
So kann man ausgerechnet in diesen deterministischen Welten was lernen. Aber natürlich kann man auch weiter von den Zeiten träumen, in denen „Verlage und Zeitungen“ noch keinen „Kampf um Aufmerksamkeit führen“ mussten. Zu deutsch, die Leute den Kram halt lesen mussten, weils nichts anderes gab, und ihre Leserbriefe gedruckt wurden oder eben nicht. Ich fürchte, letzteres sogar auf recht deterministische Weise.
Aber mach dir keine Sorgen wegen deinem Kopf. Das Netz macht nicht dumm. Glaub mir.
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