Zur Medienpädagogik und der Jugendschutzdebatte, ein wenig Input

Da fang ich ja schon in der Überschrift so an, als ob die Medienpädagogik nichts könnte und das nun korrigiert werden soll, das stimmt natürlich nicht. Einige meiner ehemaligen Kommilitonen, auf die ich große Stücke halte, sind in der Ecke aktiv, und auch ansonsten werden ein paar fitte Leute rumrennen. Vor kurzem kloppte ich mich ein wenig nebenan, inhaltlich kam man nicht ganz zusammen, und ein paar Sachen gehen mir seitdem nach, die aber ein wenig OT geworden wären. Drum ein kleiner Anriss der Themen, die ich gerne in medienpädagogisch ausgerichteten Blogs lesen würde. Ausgangspunkt ist zum einen die These, dass die Geschichte des Jugendschutzes eine Geschichte permanenten Versagens ist. Das hat oft mit Dummheit und/oder Bösartigkeit zu tun, ich mag mich in dem Kontext grade aber eher mit den „gut gemeinten“ Aspekten der Geschichte beschäftigen (ja, Dummheit/Bösartigkeit und „gut gemeint“ ist kein Gegensatz, aber geschenkt, man merkt, glaub ich, auf was ich raus will).

Konkrete Thesen

Was immer man auch tut, Jugendliche werden „unangemessene“ Inhalte suchen, finden und nutzen. Zum anderen: Die Problematik wird in Sachen Medien in der Regel zu eng gefasst, es braucht weder Pornos noch Egoshooter bzw. deren Abwesenheit, um Jugendliche zu Zynikern, Arschlöchern oder beidem zu erziehen bzw. eine solche Entwicklung zu verhindern (Disclaimer: das Zynikerwerden halte ich für eine völlig vertretbare Persönlichkeitsentwicklung. Schließlich bin ich selber einer.)
Die Folge: Der Jugendmedienschutz und damit auch ein großer Teil der Medienpädagogik arbeiten komplett am Thema vorbei, da sie Unvermeidbares zu verhindern suchen, das Unvermeidbare naturgemäß trotzdem passiert, aber weitgehend ignoriert wird.

Vorbemerkungen

Vorneweg: wem der „Ton“ nebenan zu aggressiv war, ich verhalt mich auf dem heimischen Blog nicht anders. Das sollte man aber abkönnen oder man hat den falschen Job. Inhaltlich sind ein paar Anregungen dabei, die ziemlich sicher nichts neues sind, aber die ich eben in den einschlägigen Debatten selten (heraus)lese und die ich in der Alltagspraxis für wichtig bzw. brauchbar halte. Ich spreche einerseits aus Erfahrung, schließlich bin ich selber Jugendschutzbeauftragter. Weiter musste ich mich auch nach der Uni gelegentlich mit dem Stand der medienpädagogischen Debatte befassen, teils beruflich, teils bildungstechnisch. Letzteres hinterließ gerne eine Art Eunucheneindruck, beispielsweise bei meiner letzten Päd-Konferenz zum Thema Internet: alle redeten von Blogs und wussten viel drüber zu sagen, aber selber machen tats keiner. Dazu die dämliche Jugendschutzpropaganda eliminierte damals zuverlässig einige zarte Hoffnungspflänzchen auf eine zukünftig einigermaßen vernünftige Herangehensweise ans Thema. Das Medienpädagogok-Praxis-Blog, auf dem ich mich letztens kloppte und auf das ich mich im folgenden beziehen mag, ist andererseits durchaus interessant und gelegentlich sehr beruhigend dahingehend, dass man eben feststellen kann, dass da eine Reihe Erkenntnisse wirklich in die Disziplin durchgedrungen sind. Insofern, die Pflänzchen gedeihen grade wieder ein wenig. Zur Sache.

Basics: Porno, Medien, Kinder und Jugendliche

Unter anderem stieß ich nebenan auf den Hinweis zu einer hochinteressanten Studie zum Thema „Pornografie und neue Medien“ dort leider, und um zum Thema zu kommen, in einem Kontext, in dem recht wenig aus selbiger gefolgert wird. Mag sein, dass ein Blog nicht der rechte Ort zur Theoriefindung ist, aber zur Diskussion würds ja taugen. Kurz die Hard Facts:
– Deutlichst zweistellige Prozentsätze an Jugendlichen haben bereits harte Pornografie gesehen. Sie waren
– ganz und gar nicht durch die Bank abgestoßen, und vor allem:
– sie haben zu großen Teilen bewusst und gezielt danach gesucht.

Wenn ichs mir recht überlege: dafür hätts nicht mal ne Studie gebraucht. Ich erinnere mich an eine Fragebogenaktion im Rahmen eines Jugendforschungsprojekts zu einem völlig anderen Thema seinerzeit an der PädPsych, wo wir sehr amysiert waren angesichts einer mit rotten.com-Bildern zutapezierten Klassenzimmerrückwand. Das dürfte so um 2002 rum gewesen sein. Ob damals Rotten und heute KC oder die sonstigen /b-Refugien, geschenkt. Witzig und sympathisch nebenbei, dass Jahre später inzwischen nebenan ein damals extrem berüchtigtes (und, hihi, indiziertes) Spiel in der Flashvariante als Anschauungsmaterial der Medienpädagogik verlinkt und empfohlen wird. Ganz frei im Internet anzuklicken.

Ebenso findet sich dort die erfreuliche, wenngleich wenig originelle Erkenntnis, dass Filtertechnik nichts bringt (Seitenhieb am Rande: es ist bezeichnend, dass mein einziger blogfremde Contrapart in der iTunes-Diskussion da ausgerechnet Werbung für seine Jugenschutzkiste linkte, ansonsten wenig mehr als Phraseologie abzusondern wusste und sich entlarvenderweise „über technische Lösungen für oben angeführte Probleme unterhalten“ will. Klar, die helfen uns weiter. Chapeau, Herr Keiling.). …Jedenfalls: man *weiß* um das Problem der fortdauernden Erreichbarkeit. Man setzt sich aber nur eingeschränkt damit inhaltlich auseinander. An sich gar nicht. Mir fiel kein einziger Post ins Auge, in dem es drum ging, dass jemand nun eben irgendwelchen Kram *gesehen* hat und beispielsweise nicht damit klarkommt, und was nun damit zu tun ist.

Die fehlende Undo-Funktion und andere Alltäglichkeiten

Sinnvolle Internet-Warnungen

Diese schöne Warntafelsammlung hatte es mir letztens sehr angetan. Vor allem die „no un-see!“-Warnung, die vor dem Glaubensverlust in die Menschheit und die Mem-Geschichten in Sachen „Don’t“ und natürlich zum Schluss Rule 34, „there is porn of it. no exceptions.“

Die Existenz dieser Warnungen zeugt von zwei Sachverhalten:
a) Der Kram existiert, er wird gesehen (ja, auch von Kindern und Jugendlichen, wenn sies drauf anlegen, und sie legen es *alle* drauf an), man kann nichts dagegen unternehmen, die Folgen sind gelegentlich schwierig.
b) Auch wenn die Folgen nicht unbedingt gleich schwierig scheinen, sind sies gelegentlich doch. Das kann man ausführen, ich wills beim Verweis auf mein anfängliches Statement zum Zynikerwerden und dem auf die Warnung vor dem Glaubensverlust in die Menschheit belassen. Denn das Netz zeigt sie halt, wie sie ist. Die „schwierigen Folgen“ meine ich btw. augenblicklich recht wertfrei. Erkenntnis tut gelegentlich weh, und wer meint, für Kinder oder Jugendliche sei das weitgehend zu vermeiden, ist naiv. Oder will naiven Nachwuchs.

Was mir nun fehlt: Diese Warnungen zum einen, weiter eine Methode, mit den Folgen ihres Nichtbeachtens zuverlässig klarzukommen. Zusammengefasst: eine Medienpädagogik, die es als den Normalfall begreift, dass Kinder und Jugendliche „ungeeignete“ Inhalte zu sehen bekommen (und ggf. auch wieder verdrängen wollen). Stattdessen geht alles wahlweise ums Verhindern und Filtern, alternativ ums Produzieren und Konsumieren harmlosen Kinderkrams. Wie aber damit umzugehen ist, dass eben ungefähr 100% der Jugendlichen bereits von den einschlägigen Fickfilmen bis sonstwohin schon gut unterwegs waren, das keine Sache ist, die mit 17 anfängt und dass die Jüngeren damit durchaus gezielt und mit wachsendem Alter auch mit wachsendem Spass an der Sache vorgehen – kein Ton davon.

Segensreiches Nichtmitkriegen

Wie aus der erwähnten Pr0n-Studie auch hervorgeht, werden Pädagogen und Eltern von den medialen Eskapaden ihrer Sprösslinge seltenst unterrichtet. Und seien wir ehrlich: Sich die Goatse-Galerie durchzugucken, ist das eine. Sich drüber beim Sozpäd auszuweinen, ich weiß ja nicht. Bei den Eltern, um Himmels Willen. Natürlich quatscht man darüber im Freundeskreis. Woanders nicht.

Insofern betrifft das Problem Eltern wie Erzieher meist allenfalls mittelbar, weil sie eben regelmäßigst nicht damit konfrontiert werden. Ich denk aus dem Bauch raus, dass das vielleicht auch gut so ist. Das ist im Unterschied zum Vorhergegangenen aber eine von den Sachen, wo ich mir recht unsicher bin. *Ist* das gut so? Ist es, im Unterschied zu manchen anderen Unabänderlichkeiten ein nicht unbedingt in Stein gehauener Sachverhalt? Wäre es sinnvoll/besser zu versuchen, Szenarien, Strategien, Anlaufstellen Situationen zu schaffen, in denen sowas mal auch thematisiert werden kann?

Hier fände ich es interessant, wie da die Pädagogen gedenken, einschlägige Sachverhalte a) zu erkennen und b) anzugehen. Vielleicht, bevor der betroffene Sprößling beginnt, mit ungewöhnlich weit klaffenden Analöffnungen das Klassenzimmer zu tapezieren.

Inhaltlich zu vermittelndes

Bereits in der Diskussion nebenan erwähnte ich die gelegentliche Notwendigkeit der gelegentlichen Realitätssynchronisation angesichts medialer Wirklichkeiten. Ich halte es im Gegensatz zu PorNO-Kampagnenschwachsinn für durchaus intelligent, Pornorealitäten an der Wirklichkeit zu messen. Ich bin sicher, da draußen im Zombieland ist es einigen Leuten in der Tat nicht klar, dass es nicht jede Frau im Arsch mag und die Intimglatze das Maß aller Frisur jenseits des Kopfs ist. Boingboing stieß mich da mal auf eine inhaltlich (noch?) schmale, aber von der Idee her wirklich schön gemachte Seite, auf der ich nur einen Fehler inmitten von viel Vermittelnswertem finde: sie hat eine „Bist du achtzehn?“-Altersabfrage.

Ein Bedarf an Realitätssynchronisation kann auch in der anderen Richtung der Normalität gelegentlich vorhanden sein. Man kann sich heute viel früher, schneller und umfassender ein Bild über die doch gelegentlich exotische Vielfalt menschlicher Interessen und Beschäftigungen machen. Auch hier glaube ich aber, dass sich vieles von selber regelt. Ich könnte mir sogar vorstellen, dass Heranwachsende, die zwar überzeugend vermitteln können, dass jeder Furrie per se einen langsamen, schmerzhaften und einsamen Tod verdient hat, trotzdem eben durch das Wissen um sehr weite Grenzen des menschlichen Geschmacks zu offeneren und aufgeschlosseneren Zeitgenossen werden wie das Pfarrerssöhnchen aus den Fünfzigern, bei dem es dann vielleicht doch geglückt ist, ihn bis zum zwanzigsten Geburtstag vor der Last des Wissens um sowas wie Homosexualität zu bewahren. Btw., wer inzwischen schon am Weinen ist, wie krank und pervers die Gesellschaft so zwangsläufig werden muss, sollte sich das letztere Beispiel vor Augen halten, oder die Vorstellungen von Sexualität und ihrem Soseinmüssen, die wohl zu manchen und nicht unbedingt weit zurückliegenden Zeiten das Dasein so mancher Leute unnötigerweise zu einem verklemmten, freudlosen, ja, ich will sagen, perversen Dasein gemacht hat. Der Einfluss beispielsweise katholischer Priester auf die sexuelle Entwicklung Heranwachsender kann gar nicht fatal genug eingeschätzt werden, auch dann, wenn sie sie nicht ficken.

Zurück zum eigentlichen Thema und wie gesagt: Ob es angesichts medialer Erreichbarkeiten durch Jugendliche überhaupt konkreten Handlungsbedarf gibt, ist mir in vielen der angesprochenen Sachverhalte nicht einmal wirklich klar. Mein Punkt ist eben der Eindruck, dass diese Sachverhalte oft in der Diskussion als nichtexistent betrachtet werden oder zumindest als vermeidbar.

Die Erörterung anderer, durchaus ebenso kranker „Normalität“, die mit ziemlicher Selbstverständlichkeit Heranwachsenden mit recht wenig Wahl- und Wunschmöglichkeit zugemutet wird, will ich mir angesichts der bisherigen Textlänge an der Stelle nun doch ersparen.

Zum Schluss trotzdem eine Bitte

Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien geruhte, meine letzte Indizierungsforderung an sie gepflegt zu ignorieren. Es würde mich sehr freuen, wenn ein paar verantwortungsvolle Medienpädagogen nicht nur durchaus intelligente medienpädagogische Manifeste, sondern auch mein Anliegen dort unterstützen würden.

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3 Responses to Zur Medienpädagogik und der Jugendschutzdebatte, ein wenig Input

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