Ich starte doch nen neuen Post, sonst wird das alles etwas langatmig. Zur Vorgeschichte: ich halte die Spackeria für weitgehend frei von konkreten Argumenten und insbesondere Zielen/Problemen, deren Lösung in Postprivacy besteht. Die Formulierung einer positiven Utopie könnte da hilfreich sein, um festzumachen, wozu das ganze Konzept überhaupt taugen soll, und begonnen habe ich damit in den „Vorüberlegungen zu einer positiven Spackeria-Utopie„.
Teil zwei, mit den folgenden beiden Punken der Utopie folgt nun.
2. Möglichkeiten der Vernetzung
– Ich will sichtbare und gesellschaftlich präsente Gruppen meiner „Minderheiteninteressen“
– Ich will eine uneingeschränkte horizontale Solidarisierungsmöglichkeit
Diese Punkte hat Plomlompom in seinem Post-Privacy-Buch klar dargestellt und die sind wie dort bemerkt die stärkste Argumentation, die Postprivacy/Spackeria für sich verbuchen kann. Hier verbuchen wir auch bereits die ersten wirksamen Entwicklungen in diese Richtung: Bewegungen, Interessensgruppen bekommen ein Gesicht, Ungleichheitsstrukturen werden ein Stück weit aufgeweicht. Ums zu illustrieren: der privilegierte Jetset hat permanente Möglichkeiten, sich zu vernetzen, sich „in echt“ und virtuell zu koordinieren, zu kooperieren und zu kollaborieren. Isolierten, weniger privilegierten Individuen steht via Netz diese Möglichkeit in einem weit stärkeren Maß offen als in vordigitalen Zeiten, und insbesondere kristallisieren sich aus den Online-Netzwerken eben auch die Real Life-Kooperationen heraus, in denen die Individuen eben auch ein Gesicht bekommen (und damit notwendigerweise zumindest in der Gruppe Privatheit aufgeben). Dieser Prozess ist definitiv wichtig und dient einer eigenen Interessensvertretung wie auch der eigenen psychischen Hygiene, gerade, wenn man ansonsten vereinzelt wäre. Wenn die entsprechenden Bewegungen politisch werden, werden sie auch offener, und gesellschaftliche Diskurse bekommen dadurch eine Richtung, dass sie eben von Menschen auch offen vertreten werden. Es ist nicht nur das Stammtischrumoren, auf dem festgestellt wird, dass Wulff ein Arschloch ist und es ist nicht nur das vage Unbehagen, dass offenbar eine ganze Latte Leute in höchst unterprivilegierten Verhältnissen leben müssen.
Er wird umstritten sein, aber mein Lieblings-„Vorzeigegesicht“ in dieser Sache ist Martin Bersing vom Erwerbslosenforum. Ich denke, wenn eben diese Aufgabe der Privatsphäre seinerseits nicht stattgefunden hätte, dann wäre Hartz IV nach wie vor nicht so relativ regelmäßig beispielsweise bei SpOn präsent, wie es immerhin ist (auch wenns immer noch eine Jammerveranstaltung ist).
Die entstehende horizontale Solidarisierungsmöglichkeit ist dann zumindest stärker gegeben, wenn sie auf einem ansatzweise ähnlichem „realen“ Niveau stattfindet, wie sie es eben in der Jetset-Klasse die Regel ist. Die Mittel stehen uns zur Verfügung, entsprechend können wir sie nutzen. Pseudonym sind die Möglichkeiten beschränkter bzw. müssen irgendwo stehenbleiben. Ich bin grade unsicher, wo ich hier Anonymous/Bernd einpacken kann, ich denke, dass Aktivitäten offline eben mit Guy Fawkes-Masken betrieben werden, wird eher eine Randerscheinung bleiben, so schön ich das Phänomen per se finde und so gewillt ich bin, an seine Wirksamkeit in den jeweiligen Anwendungsbereichen durchaus zu glauben.
Wir wollen also eine Gesellschaft denken, in der jedem die Möglichkeit offensteht, sich mit „realen“, nicht pseudonymen Menschen ähnlicher Interessenslage zu solidarisieren, zu kooperieren und zu kollaborieren. Die entstehenden Gruppen haben reale Wirkmacht und werden als bedeutsame, relevante Teile der Gesellschaft wahrgenommen bzw. können entsprechend weitaus schlechter ignoriert werden. Gesellschaftliche Interessensvertretung wird pluralistischer und, ideal gedacht, gerechter.
3. We’ve lost the War
Das ist neben der Homosexualitätsdebatte der einzige weitere einigermassen ausformulierte Standpunkt, den ich ausmachen konnte. Dass die Privatsphärenkiste an sich eben durch ist und man sich frühzeitig einstellen müsse auf die Zeit danach, erinnert mich nur ein wenig fatal an vergangene Zeiten, in denen der Zusamnmenbruch des Kapitalismus angesichts der inhärenten Widersprüche eine reine Frage der Zeit und die Vorbereitung auf die folgenden revolutionären Umbrüche zwangsläufig notwendig waren. Das erinnert mich wiederum massiv an den Phuturama-Beirag zum Thema, in dem ebenfalls der Geist der 70er beschworen wird, nur eben ohne die konkreten Argumente, die bei der Spackeria hier wie oft woanders eben fehlen.
Ich wollte positiv formulieren und in der Tat ist dieser Diskussionsbeitrag notwendig. Um auf meinen Stichpunkt zu rekurrieren:
– Ich will eine Strategie, die mir ein gutes Leben trotz fortgesetzter Aufhebung der Nichtöffentlichkeit privater Informationen (durch Zugriff, Veröffentlichung, Leaks usw.) ermöglicht
An dieser Stelle scheitere ich jedoch. Unbenommen: wir werden lernen müssen, in welchem Rahmen wir auch über privateste Dinge in potentiell öffentlichen/out- und hackbaren Kontexten kommunizieren. Eine fortgesetzte Skandalisierung „verbreiteter“ Abweichungen wird sich vermutlich abschwächen, aber trotzdem werden wir verorten müssen, welche privaten Details eben öffentlich werden, welche nicht und welche möglicherweise mit welchen Folgen ihre Kreise ziehen. Was wird „normalisiert“, was wird gesellschaftlich einfach uninteressant (vieles ist prinzipiell heute schon recherchierbar, nur macht sich niemand die Mühe), vieles ist für sich genommen harmlos und wird in der Aggregierung spannend oder gar problematisch. Am einfachsten werden hier in der Tat die Bereiche zu handlen sein, die eben „unproblematisch“ in dem Sinne werden, dass auch schon heute angesichts eines „Ich mag Ponies“-Posts auf Twitter die Welt im Allgemeinen mit einem „So what?“ reagiert, wenn sies denn überhaupt tut. Auf welchen Themenfeldern (und bei wem) das in Zukunft ähnlich sein wird, ist eine spannende Fragen, ich drücke mich aber um eine Antwort, weil die Sozialwissenschaften vieles können, aber bei Prognosen in der Regel versagen.
Das Problem hierbei ist aber auch, dass es nicht nur eine Frage der gesellschaftlichen Akzeptanz und Offenheit ist, sondern dass wir in diesen Bereichen nach wie vor mitten in Strukturen repressiven Herrschafswissens stecken und, das mag mir zu prophezeien erlaubt sein, nicht allzu schnell da rauskommen. Fasel himself hat das halt auch eindrucksvoll auf einen Schlag dekonstruiert:
„In diesem ursprünglichen Sinne, wie Datenschutz konzipiert ist, als Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat, dass wir dem Staat Regeln auferlegen, was er über uns speichert, was er über uns auswertet, da macht Datenschutz viel Sinn, weil er das Gewaltmonopol hat und von der Machtstruktur her kann der Staat uns unterdrücken.“
In dem Sinn ist natürlich auch alles Outen gegenüber anderen Playern nach wie vor massivst herrschaftsstützend, da bis auf weiteres der Staat gegenüber den Datensammlern weisungsbefugt bleibt bzw. letztere mit ersterem allzu gern kollaborieren, wenns denn sein muss. Man darf sich da nicht auf den Kampf gegen die VDS verlassen, das Netzwerkedurchleuchten wird auch ohne Deep Packet Inspection kommen, und alles, was heutzutage als Protestbewegung den Namen verdient und im halblegalen Bereich operiert, operiert wohlweislich zumindest in Teilen klandestin.
Hier ist einer der „utopischsten“ Punke der Spackeria erreicht, was das betrifft. Man bräuchte eine etwas andere Gesellschaft mit etwas anderen Herrschaftsstrukturen, in denen dann eine Offenlegung der spezifischen Interessen, Netzwerke, Verbindungen, Informationen dann auch in der Tat allgemein höchst sinnvoll ist, so wie es auch heute schon durchaus sinnvoll ist, beispielsweise Amazon mitzuteilen, was mich interessiert (denn die Empfehlungen werden in der Tat immer besser) oder bei Facebook öffentlich der Gruppe der Liebhaber japanischer Furzpornos beizutreten (denn so treffe ich schließlich Gleichgesinnte, möglicherweise gar japanischer Herkunft). Aktuell gibt es aber durchaus noch gerade genug notwendige gesellschaftliche Strömungen, Interessens- und Aktivistengruppen, zu denen man sich wohlweislich nicht öffentlich bekennt, aus Gründen der inneren Sicherheit und der hochvernünftigen Grundannahme, dass der Schutz des Individuums vor staatlichem Zugriff damit beginnt, dem Staat keine Zugriffsmöglichkeit auf persönliche, nicht für ihn gedachte Daten zu geben, auf welchen Umwegen auch immer.
Wir wollen also eine Gesellschaft denken, in der es nicht notwendig ist, sich mit Methoden gegen Repressionen zu wehren, die wiederum den staatlichen Zugriff auf wo auch immer veröffentlichte/gespeicherte Daten notwendig macht, ermöglicht oder legitimiert.
(Und im übrigen: wir haben mitnichten den Krieg verloren. Im Gegenteil. Noch nie hatten wir so mächtige Mittel, uns vor dem Zugriff des Staates auf unsere Kommunikation zu schützen, noch nie war der Gebrauch von Technik in einem solchen Maß gesellschaftlich normalisiert.)
Vorläufiges Fazit: An sich sollte ich an dieser Stelle aussteigen, denn ab hier wirds wirklich eine gesamtgesellschaftliche Utopie, die naturgemäß an den Rändern vollkommen ausfranst: ist das in einem weltgesellschaftlichen Gebilde aus einzelnen Nationalstaaten mit partikularen Interessensvertretungen überhaupt denkbar oder realisierbar? Reden wir hier nicht notwendigerweise von einer vollkommen neuen Weltgesellschaft? Ist eine solche erstrebenswert? (Ich wehre mich immer gegen irgendwelche Weltstaatsromantisierungen, schlicht, weil es in einem weltweiten „Menschheitsstaat“ keine Fluchtmöglichkeiten mehr gibt.) Kann man diese Utopie zumindest in Teilen/ein Stück weit „angehen“? Möglicherweise macht das die Spackeria ja grade, was auch die (jedenfalls von mir so wahrgenommene) Fixierung aufs Sexuelle einigermassen erklärt: es ist einfacher, eine sexuell aufgeschlossenere (alternativ: desinteressiertere) Gesellschaft zu denken, in der das öffentliche Wissen um Beziehungs- und Sexualitätsformen ebenso selbstverständlich bzw. langweilig ist wie heute das Wissen um hetero- oder homosexuelle Orientierungen in den jeweiligen Beziehungen. Damit wird die Geschichte aber eben hochtrivial und taugt wirklich nicht mehr als Gegenposition zu dann doch gelegentlich in etwas ernsthafteren Kontexten enstandenen Vorstellungen von Datenschutz bzw. dem Schutz der Privatsphäre.
Zugegebenermassen bin ich grade auch ein wenig enttäuscht, ich hatte grade seitens der Spackeria-Vertreter ein wenig mehr Motivaion zur argumentativen Hinterfütterung ihrer Ansätze erwartet. Jenseits vom gelegentlichen Scheissefinden, wenn mal wieder Weichert was gegen FB sagte oder einem allgemeinen „Wir haben nen Gegenstandpunkt, die anderen sind irgendwie doof oder zumindest ein wenig beschränkt“ mit der zuverlässig fehlenden eigenen Positionierung kommt aber nicht wirklich bei mir an. Es ist ein wenig komisch, den Leuten die Positionen auszuformulieren, die man an sich vom eigenen Standpunkt her lieber zerlegen würde. Oder ums kurzzufassen: Um diskursfähig zu sein, muss sich die Spackeria im Diskurs positionieren und nicht nur gelegentlich „Fuck Datenschutz“ schreien. Der „Oh, anderere Ansatz, mal gucken“-Neuheitseffekt hat sich meiner Ansicht nach erschöpft und substantielles kam bislang nichts mehr nach.
One Response to Spackeria-Postprivacy-Utopie, Teil 2