…dass man sie dekonstruiert bzw. nutzt. Ich hatte mit Seddik vor Jahren schon mal eine längere Diskussion zu dem Thema und das Wochenende hatten wir das anlässlich einer Nazi/Skinhead-Diskussion nochmal ausgegraben. Kurz gesagt: wir sind uns nicht einig, die Standpunkte leuchten mir beide ein, ich tu mich schwer im Gewichten. Nicht, dass ich mir Haare wachsen lassen will, aber es geht mir ein wenig im Kopf rum und ich würd mich freuen, anderer Leute Gedanken zu lesen.
Meine Ansicht:
Mich nervt der Gedanke, irgendwelche Symbole Rechten überlassen zu sollen. Meine Springer sind meine, meine Glatze auch, und die rechten Vollpfosten haben eh alles selber geklaut, was sie als „ihre“ Kultur ausgeben und nicht grade so schreiend blöde ist wie ihre politische Denke. Ich liebe die Dekonstruktion, ich mag es, mit diesem feinen SS/Amokläuferchick in der Gegend rumzurennen, der grade wieder so im Kommen ist und den dabei zu dekonstruieren, weil man es mir eh drei Meter gegen den Wind ansieht, dass ich viel zu intelligent und attraktiv für einen Nazi bin.
Dasselbe gilt für andere Dinge, an denen mein Herz weniger hängt. Ich hab nichts für Wagner übrig, ich halte Freunde altgermanischen Heidentums für mindestens ebenso idiotisch wie Anhänger anderer Religionen, und Ois machen schlicht und ergreifend beschissene Musik. Wer domestosblondierte Jeans trägt, leidet an schweren Geschmacksproblemen und einem ästhetisch schmerzfreien Freundeskreis, sollte ein solcher vorhanden sein, und wenn sich die zweifellos unglaublich großartige Freundin, mit der ich zweifellos irgendwann wieder durchs Leben stiefeln werde, einen Renee-Schnitt zulegt, werde ich das mit der mir eigenen Gelassenheit hinzunehmen wissen, im Grunde meines Herzens jedoch andere Outfits bevorzugen. Himmel, ich könnte mich sogar auf analoge Diskussionen in Bezug auf klassische Riefenstahlmotive, Rammstein, Fackelzüge, Lichtdomen und dem faschistoiden Untergehen in der Massenseele einlassen, wie es meiner Ansicht nach auf manchem Konzert und in manchem Stadion passiert, ohne dass da rechte Scheiße an den Hacken klebt.
Anfangs wie grade angeführte Sachen will ich aber alle nicht den Nazis lassen. An sich will ich ihnen *gar nichts* lassen. Die dürfen meinetwegen ein wenig Trümmerklopfen, durch den Matsch robben und an Zyklon-B-Dosen schnüffeln, bei letzteren würde es mich nebenbei amysieren, wenn sie doch nicht ganz leer wären, aber mehr an Kultur haben sie nicht hervorgebracht und mehr steht ihnen meiner Ansicht nach auch nicht zu. Wenn Laibach sich die SS-Schädel aneignet und dekonstruiert, ist das fein, und wenn ich rumrenne wie Dylan Klebold selig und trotzdem nicht wie ein Nazi aussehe, dito. Der Kram ist meiner, und das wird er auch bleiben, ich werd den Dreck tun und ein Paar noch fast neue Springerstiefel ausrangieren, bloß weil ein paar Nazen meinen, mit ähnlich züchtigem Schuhwerk rumrennen zu müssen. Das ist meine ganz private, auch durchaus leicht marottierte Züge tragende, spezielle Interpretation eines „Keinen Fußbreit den Faschisten“, und schon gar nicht, wenns um Ästhetik geht.
Seddiks Ansicht:
Die eigentliche Gefahr geht nicht vom tumben Fußvolk aus, welches die klassischen Symboliken besetzt. Tatsächlich ist das Neonazentum kein Problem, das in erster Linie mit einem Dutzend Spacken pro Dorf zusammenhängt, die zwar zu blöde sind, gleichzeitig Heil Hitler zu schreien und ihre Blase zu kontrollieren, aber es gelegentlich trotzdem hinbekommen, ein paar Asylbewerber abzubrennen. Das Hauptproblem ist das reaktionäre, erwachsene Pack, das sein Nazentum als gesunde (national)konservative Orientierung gesehen wissen will, „seine Jungs“ halt nicht im Regen stehen lassen will, wenn sie im jugendlichen Sturm und Drang eben ein wenig zu feste zugetreten haben und ansonsten das unarische Pack halt auch nicht vermissen würde, es aber eher doch nicht verbrennen will, weil das im Ausland zu Missverständnissen führt.
Konkret für Straße und politische Landschaft gedacht: Das Problem ist nicht die aus dem Rahmen fallende, aggressive Symbolik von Nazis, sondern die Normalität nazistischer Denkstrukturen in der Mitte der Gesellschaft, die Verwurzelung der Naziideologie im Alltag und bei völlig „normalen“ oder gar prominenten Personen, Beispiele gabs in letzter Zeit ja genug.
Diese Normalität rechter und nazistischer Orientierung ist die Hauptgefahr und auch die Hauptbedrohung für die Menschen. Und dementsprechend nehmen sie ihre Umwelt wahr. Sie sehen die reaktionären Stadträte, sie hören Oettingers Ansprachen, sie kriegen die Leitkulturdebatten eines Merz, die reaktionär-rassistischen Phrasen eines Stoibers und das Wahlverhalten ihrer weniger denkenden Mitbürger mit und sehen, das sind keine Ausnahmen, das ist deutsche Normalität. Sie sehen die Faschos rumhängen, sie lesen zu jeder Wahl rechte Gesinnung auf den Plakaten beider Volksparteien, und sie sehen nen Korrupt mit Glatze, Springern und im schwarzen Lederlangmantel rumspringen und ich kann es ihnen nicht übelnehmen, wenn sie bei letzterem annehmen, dass das auch Teil der neuen deutsche Normalität ist, ebenso, wie ich keinem vorwerfen kann, der nicht drinsteckt, dass er zwischen Laibach und Forthcoming Fire nicht wirklich differenzieren kann.
Ich leiste demnach mit meinetwegen durchaus ehrbaren Motiven einen Beitrag zur Durchsetzung einer rechten Hegemonie in Deutschland, die Politik, Kultur, konkretes Alltagshandeln und allgegenwärtige Ästhetik prägt, ich arbeite mit an der Normalisierung rechtsextremer Orientierungen in Deutschland, die längst (und in meinen Augen natürlich unbestreitbar) Teil der Alltagskultur und der gesellschaftlichen „Mitte“ geworden sind.
…?
Nun, was tun? Mir leuchten beide Standpunkte unmittelbar ein, sie tragen auch beide ihre eigene Wahrheit in sich, nur ist mir es auch klar, dass man sich hier in gesellschaftlichen Komplexitäten von symbolischem und faktischem Handeln bewegt, die zu durchschauen niemandem mehr zuzumuten sind. Wir alle reduzieren Komplexität, soweit es uns möglich und sinnvoll erscheint, um die Welt weiter fassen und handhaben zu können, und ich kanns verstehen, dass viele keine Lust mehr drauf haben, diese verdammte Umcodiererei von Codes mitzuverfolgen, zu verstehen, regionale und zeitliche Verschiedenheiten mitzuverfolgen und so weiter und so fort. Aber ich hab außer den Springern verdammt nochmal nur noch ein Pärchen Turnschuhe, ich werd mit denen never ever in der Gegend rumstiefeln, wenns zu umgehen ist, und ich werde mir keine anderen Schuhe kaufen, nur weil irgendwelche Leute, die ich nicht mal kenne, mich nicht von nem Nazi unterscheiden können.
Das letzte Argument mit den Turnschuhen war eher schwach, um nicht zu schreiben bockiq und entwertet den Text davor (gibt schliesslich auch andersartiges, zuechtiges – und guenstiges – Schuhwerk, ganz abgesehen von Glatze und LLM). Und Deine individualisierte Dekonstruktionsstrategie in allen Ehren; aber dafuer brauchts mehr als einen Korrupt. (Und ja, schlimm genug, dass diese Stiefel immer noch – bzw. wieder? – „besetzt“ sind.)
Ich mag jetzt auch ungern in die ybeliche Kerbe schlagen, aber… Du kommst mit Deinem Wissen nicht davon, nicht so. Und damit kann ich wiederum ganz wunderbar die Widersprueche der Welt anprangern.
Naja… das war auch nicht sonderlich ernst gemeint, sondern ein kleiner Wink in Richtung von davadda, der da vor einiger Zeit ein paar komische Behauptungen aufstellte…
Aber um die ernsthafte Einwenderei zu hinterfragen: versteh ich dich richtig dahingehend, dass du an sich Seddik recht gibst und die These vertrittst, es gäbe auch LLM, Stiefel und Glatzenvarianten, die nicht an Faschos erinnern, mir gefallen und die ich mir entsprechend zulegen sollte, statt die rechte Hegemonie im Stadtbild zu pushen, was ich deiner Ansicht nach aus Bequemlichkeit oder Spass an der Kontroverse und Ermangelung gesellschaftlichen Verantwortungsgefühls heraus tue?
Ich muss Seddik insofern recht geben, als dass die Gefahr von rechts gerne übersehen wird, es sei denn sie trägt Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel. Ist ja auch simpel und macht es einfach für die mediale Rezeption. Die paar Nazi’s, die sich durch Symbole jedweder Art outen sind doch nur die Spitze des Eisbergs. Das selbst diese Spitze schon zuviel ist steht gar nicht zur Debatte. Viel gruseliger finde Ich, dass es Landstriche in Deutschland gibt, wo sich Kinder- Jugendliche frei von jeglichem politischen Verständnis einer „Mode“ unterwerfen, die wir allgemein als Nazi -Chick bezeichnen würden. Das gefährliche daran ist mitnichten die Glatze oder der Springerstiefel, sondern viel mehr der unreflektierte aber bestimmt eben nicht unpolitische Gebrauch von Symbolen, die Ihre gesellschaftliche Akzeptanz gefunden haben und als solche Teil der Kultur geworden sind. Oettinger und die ganze Sippe der rechten Brandstifter dienen und bedienen diese Gruppe über die reine Symbolik hinaus.
Was tun?
Imho – recht hast du, keinen cm den Nazi’s. Keine Klamotte und keine Frisur.
Ich muss den Punk nachtragen, ich denk, das gehört auch hier her.
Ja, ebbes!
Es kann gar nicht angehen, dass irgendwer auf irgendwelche Kleidungsstücke, Musikrichtungen, Batches oder sonst was verzichtet, weil die Arschpiraten diese Symbolik zu übernehmen gedenken.
Alles, was die tragen dürfen, sind braune Anzüge mit hochhackigen Overkneesteefeln. Der Rest ist geklaut!
Reclaim the … the … na den ganzen Scheiß halt, alles!
Zusammengefasst würde ich sagen: Ich zieh an, was mir gefällt. Dabei schau ich halt nur, daß ich keine kleinen Kinder und alte Omas erschrecke. :o) – Das wäre dann auch wieder mein Argument gegen Dein Outfit, aber vermutlich sieht man es Dir wirklich an, daß Du kein Nazi sein kannst, so wie Du da glaub schriebst.
Ich denke mir, selbst so wirst Du, ich oder sonstwer -resp. auch in anderer Tracht- falsche Eindrücke erwecken, aber sowas kann man so oder so nicht vermeiden. Man kann es minimieren, solange es nicht zu sehr einengt.
Andererseits, und das finde ich auch wieder das wirklich Gute und oftmals witzige oder einfach schöne daran: Gerade die Leute, die einen erstmal schräg anschauen sind nach einem kurzen Wortwechsel oder einer netten Geste äußerst verwirrt wegen ihrer „Vorurteile“ und bei manchen scheint so ein Erlebnis dann auch einen nachhaltigen Aha-Effekt zu haben.
Nein, verstehst Du nicht richtig.
Ueber Geschmack liesse sich streiten, dass ich Dir jedoch Bequemlichkeit (in der Richtung hoechstens Pragmatismus) oder gar Ermangelung von irgendwelchen Gefuehlen vorwerfe, war nicht intendiert.
„Ich hab nichts für Wagner übrig, […]“
Den ‚Neonazi‘, der Wagner hört und diese Musik mag, möchte ich sehen. Ich glaube, dass man Neonazi-Symbolik zum Beispiel durch heutiges Wagnerhören ‚dekonstruiert‘.