…der WM. Mir fiel heute auf, dass es gelegentlich doch sein Gutes hat, wenn man das Real Life abschafft. Manchmal ist mir nicht richtig wohl dabei, aber wenn ich, wie heut abend geschehen, noch im Supermarkt was für morgen einpacke und vor mir stehen die Mädels mit Kinderalkohol und Perso in der Hand, geziert mit Symbolen unseres teuren Vaterlands, dann bin ich froh, dass ich in der Regel nicht aus dem Haus komme.
Was ich hingegen von der ganzen Patriotismusscheiße halten soll, durch die man grade in Presse wie Reallife grade knietief watet, weiss ich noch nicht so recht. Ich hatts heut kurz mit gulli davon und später kurz mit tw_24, ich bin noch unentschlossen, ob da grade irgendwas grusliges entsteht oder im Gegenteil grade eine der heiligen Kühe der rechten Scharfmacher auf dem Altar der Spassgesellschaft geschlachtet wird. So in Richtung unabsichtliche Dekonstruktion. Ich blogg da der Tage vielleicht noch was zu, ich denk aber, Franz Josef Wagner kann man als Stichwortgeber in der Geschichte an sich außen vorlassen, tw. Der Mann ist einfach nur irre.
Gruselige Tendenzen sind auf jeden Fall auszumachen, ob mehr daraus entsteht in naher oder nicht allzu ferner Zukunft, wer weiß? Ich hoffe es nicht, aber wenn ich die patriotismustrunkenen Fahnenwedler so sehe, die gleichermaßen Hurra für so manches nicht verdiente Tor schreien und zugleich den „gerechtfertigten“ Maßnahmen gen Minderheiten in Deutschland lachend entgegensehen, so vermeine ich doch übles zu riechen. Die Republik stinkt!
Das ist ein Punkt. Gerade wegen der fahnenschwenkenden Volldeppen will z. B. die Politik die Gesundheitsreform bis zum 09. Juli (Endspiel) durch bringen. Das Gruselige an der ganzen Sache: Es funktioniert. Wenn ich dann noch mit Leuten, die ich seit Jahren kenne, telefoniere, die ich für intelligent halte, eher dem linken Spektrum zuordne, da aber auch zu hören kriege, ich Prinzip ist der Gemeinschaftsdienst keine schlechte Sache, bekommt man echt Angst…
Ack, ja. gestern hatte ich mal wieder den gedruckten Spiegel in der Hand, Artikel mit dem Tenor, die Grosse Koalition macht grade schlicht, was sie will, eine Opposition findet nicht statt, und was letzten Endes grade gemacht wird, interessiert irgendwie niemanden so richtig. Es scheint was zu passieren, und es ist, wie du auch nebenan schreibst, wenns wer registriert, dann allenfals unter dem Blickwinkel „Jetzt muss halt mal, ist ja die ganzen Jahre nichts passiert“, und dass schon die ganze Zeit die Linie gefahren wird – ohne Effekt, jedenfalls nicht oder nur negativ auf die, die eh schon nichts oder wenig haben – interessiert nicht.
Womit ich mich auch ein wenig schwer tue: da generell wegen der ganzen Begeisterung Scheisse zu bruellen. Himmel, ich kanns ja verstehen, wenn viele Leute gottfroh dran sind, einfach mal den ganzen Scheiss Scheiss sein zu lassen und zu feiern. Anlaesse gibts ja sicherlich nicht viele. Und dann hat das ganze ja auch noch so was pseudo-klassenübergreifendes – ist doch schoen, wenn mal nicht nur die Penner mit der Alkpulle auf der Strasse rumhaengen. Ich spinn den Gedanken jetzt nicht weiter, sonst wuerd ich arg zynisch werden muessen.
Der Zynismus hätte mich jetzt aber derbst interessiert :)
Es paßt halt im Moment alles zusammen, ist ja nicht die erste WM die ich erlebe ;)
Ich muss allerdings Korrupt widersprechen. Klar ist es schön, dass mal alle irgendwie gemeinsam feier. Aber es stimmt extrem traurig, dass es dazu so ein Kasperletheater braucht, welches rund um die WM generiert wurde. Denn Anlässe _etwas gemeinsam zu tun_ gäbe es immer. Nur tuts keiner – sobald der Schlusspfiff kam, macht wieder jeder seins. Und daher sag ich auch, dass dies alles grosse Scheisse ist.
Das wohl bisher passendste Zitat hab ich gestern ausgerechnet bem Knüwer gelesen: „Nein, Leute, Ihr ward nicht alle Brasilianer. Die, die Ihr zu Tausenden in apfelgrün-blassgelben Hemden aufgelaufen seid. Dazu waren Eure Haut zu blass und Eure Haare zu blond. Ihr seid Modefans, die auf der Seite der Gewinner stehen wollen.“
Das ist doch die eigentliche Intention – die Leute wollen wenigstens einmal in ihrem Leben das Gefühl haben, ein Gewinner zu sein.
Ich glaube eher es ist eher die Motivation, „es gibt wieder was zu feiern“ – wem man dan zugrölt ist letztendlich schnuppe.
Ich war vorhin eine Stunde am und um den Hamburger Hauptbahnhof unterwegs. Da musste ich an diese Worte denken. Da gibt es nur eine Party. Ob Costa Rica, Eciador (die heute gegeneinander spielen), ob Mexico, Kolumbien oder Deutschland, sie stehen nicht grüppchenweise zusammen, nein, gemischt, wer wo steht, ist völlig egal, es ist einfach eine große Party.
Sicherlich ist das also ein eine Seite der Medaille. Doch während man bei den genannten Ländern das Wort sozial, Familie, Füreinander-Dasein noch kennt, sogar _der_ Lebensinhalt ist, ist beim normalen Deutschen die andere Bevölkerungsgruppe am Abend dann wieder das asiziale Pack.
Der tägliche Wahnsinn unserer Spassgesellschaft? Ich wags nicht zu behaupten, dass diese Motivation von den Deutschen ausgeht – eher lassen sie sich da jetzt im Strudel mitreissen :)
Hoi,
so ungefaehr das, was Chris sagt, was den nichtzynischen Aspekt des Ganze angeht. Bei agitpop les ich grade aehnlich passendes: nicht mal die Privaten kriegens offenbar hin, in gewohntem Mass Nationalismusklischees zu reproduzieren bzw. reproduzieren zu lassen, und sowas find ich fein. Unbenommen, dass ich das grosse Miteinander fuer ne temporaere Erscheinung halte. Nur will ichs deswegen nicht schlechgtreden, es mag ja sein, dass es beim einen oder anderen ein Augenoeffner auf Dauer wird. Das internationale Miteinander wird ja auch in den medien grade gross gefeiert, das machts, wenns denn passiert, in meinen Augen halt auch nicht weniger wertvoll. Klar soll man die Folgen nicht ueberschaetzen, aber wenn man mich fragen wuerde, wovon ich mir eher erhoffe, dass hinterher vielleicht der eine oder andere ein wenig entbetoniert wurde im Kopf, dann ist mir diese „es gibt wieder was zu feiern“ – Anlaesslichkeit lieber wie beispielsweise das bekanntermassen ebenfalls etwas internationalisierte Oktoberfest, um mal drastische Gegenbeispiele aufzufuehren.
Das als Hintergrund, warum mir das Generell-Scheissefinden etwas schwerfaellt.
Was Chris da zum asozialen Pack des Abends sagt, ack. Das war auch der Punkt beim grossen Zynismus vorhin – Fussball, der grosse Gleichmacher. Es haengen nicht nur die Alkies auf der Strasse, sondern quer durch die Bevoelkerungslandschaft die Leute, ich wuerde gar behaupten, anders als meinetwegen Ballermann auch durchaus Schichten jenseits der Prolos, die sich mit dem Fussballalibi auch mal die Volksnaehe geben. Und die einen tippen richtig, waehrend die Bild scheisse prognostiziert, und ueberhaupt werden sie alle ein wenig gleicher und kommen ein wenig zusammen. Kann man jetzt fortsetzen, und koente man natuerlich auch prima mit der Massenpsychologie und der guten alten Faschismuskeule und dem Aufgehen in der Volksseele kontern, dass das Volk aber sowas auf der Strasse praktiziert, waehrend nebenan im Reichstag mal wieder Kram beschlossen wird, der die Graeben noch ein Stueck tiefer baggert, das ist imo ein netter Gegensatz. Wenns nicht so traurig waere, dass es dazu diese WM-Scheisse braucht, wuerd sich das Nachdenken drueber imo durchaus ein wenig lohnen.
Das Nachdenken darüber, dass man Menschen eben durchaus als gleichwertig betrachten sollte – egal welcher Herkunft oder mit welchem Einkommen, sollte an sich nie aufhören. Solang man mit Geld Macht und Prestige erkaufen kann, wird sich in dieser Gesellschaft so schnell nichts ändern. Da ändern die paar (zum Großteil durchaus bisher sehenswerten) Fußballspiele eben auch nichts. Denn nicht die breite Masse kriegt die Augen geöffnet, sondern eben (wie du sagst) wieder nur paar Wenige. Zu Wenige in meinen Augen.
Btw., wir reden grade dauernd davon, dass ja grade alle Welt drauf scheisst, was neben der WM passiert. Tun ja gar nicht alle, merken wir grade.
Dieser text, die Kommentare und v.a. dann die Homepages der Kommentierenden, hey, das macht doch auch hoffen.
Revolution will eat itself.
>> 15.06.2006 19:20:29 missantroph wrote:
>> hergott, ich weiß, warum ich keine freundinnen hab. das ist alles arg gruselig
Grausam, Gott-sei-Dank gruselt es meine Frau da genauso und gar meine Mutter :D
Stimmt, wenn man solche hat, braucht man keine Feinde mehr oder baut sich diese an der Stelle, wo man normal selbst von profitiert. Darf ich das Wortungetüm „Kleingeistigkeit“ endlich mal wieder reinwerfen :) Aber was gutes hat es – wir brauche nicht nach Satire suchen, die Realität ist viel besser.
Pop will eat itself und die sangen schonmal „Ich bin ein Ausländer“ im feinsten gebrochenen Deutsch. Mal wieder auflegen oder schaun, obs das irgendwie zum Downloaden gibt.
Bitterböse ist das hier :D
Nein, nebenan bei mir… da wird nämlich zurückgebasht.
Chris du machst mir Angst. Scheinbar kannst du hellsehen…