Ich mochte die Wortschöpfung des werten Nils, ansonsten dachte ich noch über „Google plus Lobo“ nach, was wahrscheinlich ein schönerer Klickbait gewesen wäre. Anlass ist indessen tatsächlich Lobo, der auf Google+ eben sinngemäß den Satz tat, dass dortselbst in kürzester Zeit mehr anregendes gepostet wordeN wäre als während irgendwann in der Blogosphäre. Ich mag kurz ein wenig drüberhirnen, relativieren und mich im agenturkongresskompatibel-checkerhaft trotzdemgutfinden versuchen.
G+ ist ne feine Sache und sie wird noch besser, daran zweifel ich nicht. Dass angenehme Kommunikationsplattformen angenehme Kommunikation fördern, dito. Dass G+ ebendas auf Steroiden ist, nun ja. Hier wirds imo ein wenig mutig, was die angedeutete Ursachen-Wirkungskiste angeht. Ich mag einfach mal böse gegenschießen und behaupten, alle Welt hat auf G+ gewartet und natürlich feuern jetzt alle, die ein wenig aufmerksamkeitsnuttiger unterwegs sind als die anderen, die intelligenten, anregenden Gedanken aus allen Rohren. Schließlich will man ja auf der frischen Plattform von Anfang an positiv auffallen und schnell einer der etablierten und gern zitierten, eingekreisten Akteure dort sein.
Das ist nun etwas schwerst böswillig, aber ich lass mal die These stehen, dass an der Vermutung was dran ist. Der Rest wird sich erklären lassen mit den üblichen Early-Adopter-Elitismen und der Abwesenheit der aktiven Marketingfraktion. Ich denke, spätestens bei Adsense auf G+ werden sich seltsam bekeywortete Kommentare und Statements stärker ins Blickfeld schieben. Darauf will ich aber eigentlich nicht raus.
Was mich mehr an der ganzen Sache grade beschäftigt (das agenturkonkressinkompatible-uncheckerhaft technopessimistische „stört“ verkneife ich mir an der Stelle mal) ist der ebenfalls von Lobo konstatierte, erhöhte Pace der ganzen Geschichte. Ich weiß, es ist schon leicht schirrmacher, wenn man sagt, diese hohe Geschwindigkeit beginne zu nerven, aber hey, die Aufmerksamkeitsökonomie hat was für sich, wenns drum geht, jenseits der breiten massenmedialen Kanäle Gedanken und Diskurse in die Gesellschaft zu tragen, andererseits beugt sie sich eben in besonderem Maß diesem Diktat des Neuen bzw. der Transformation der Neuigkeit ins Bekannte. (Meta, meta: auch die ist natürlich Bestandteil der Diskurse, man kann ja auch schon wieder mit dem Statement Aufmerksamkeit und „Neuheitsempfinden“ erzeugen, wenn man drüber spricht, dass man nicht mehr über Fukushima oder die Schweinegrippe spricht.) Abgeschwiffen, zurück zum hohen Pace.
Vorgestern war SEO-Stammtisch im UPH und es waren auch eher fachfremde Leute anwesend, was ja immer auch eine recht anregende Sache sein kann – man kriegt ne Außensicht auf sich. Im konkreten Fall kam das Gespräch auf das „Herrschaftswissen“, das hier ausgetauscht würde, welches für normalsterbliche Gäste nicht mehr zu verstehen sei. Ich halte das für eine normale Begleiterscheinung einer Fachdiskussion, aber wenn es nicht mehr um „Wie krieg ich ein Glücksschwein auf die erste SERP“ geht, sondern um kommunikative Kompetenzen und Teilhabe in einem Medium, dessen Teilnehmer und Akteure (mich eingeschlossen) selbiges als Selbstbeschreibung der Gesellschaft betrachten, dann wird das kritisch. Ich störe (argh!) mich an dem Gedanken, dass die Teilnahme an den „entscheidenden“ bzw „avantgardistischen“ Kanälen des gesellschaftlichen Diskurses auch noch 2011 etwas sein soll, das den Early Adoptern vorbehalten ist, das eine Sache von Tagen, wenn nicht Stunden sein soll. Und wenns das nicht ist – hat man dann die Chance verpasst, als Nichtn00b mitzureden? Mich erinnert das nebenbei verdächtig an typische gulli:boarddiskussionen, in denen irgendwann der Vergleich des Registrierungsdatums als Argument herhalten musste, gottseidank hatte ich April 2000 und konnte es damit lang hängen lassen.
Wo bleibt das Positive? Es ist immerhin ein Fortschritt, wenn gesellschaftliche Diskurse nicht heute in den urbanen Zentren und in dreißig Jahren dann auch in der Peripherie Ostpreußens diskutiert werden, sondern eben heute bei G+ und in drei Monaten dann auch irgendwann mal auf MeinVZ. Und der aktuell beobachtbare Elitismus auf G+ wird glücklicherweise vom Erfolg des Teils zügigst plattgemacht werden. Die Frage, wie „vorn dran“ man sein muss, um mitprägender Teilnehmer eines gesellschaftlichen Diskurses zu werden, wird möglicherweise länger interessant bleiben, wobei, jetzt, wo ich drüber nachdenke, könnte das auch eine Phantomdebatte sein, denn prägen tun ja insbesondere die, die aktuell meilenweit im Gestern hängen. Bisschen Zynismus zum Schluss: das übrigens in Bezug auf die Eigeninteressen ziemlich erfolgreich.