Nebenan auf SpOn hat Sascha Lobo mal wieder einen dieser Texte gekloppt, die ich ihm durchaus anrechne: sein Einwurf zur besseren Eignung und damit notwendigen Förderung guter Manieren und Normen statt der Diskussion über Netzverbote und Sperr-Infrastrukturen macht eine nervige Debatte a) weniger nervig und bewegt sie b) wenigstens ein Stück in eine bessere Richtung. Seinem Fazit – „Eine Diskussion zur digitalen Zivilisierung tut Not. Statt um Verbot vs. Nichtverbot sollte es um Gebote und freiwillige Einsicht gehen.“ – mag ich mich nicht anschließen, aber es macht definitiv mehr Spass, sich daran anzuarbeiten als am Schwachsinn der Liga Uhl-Absonderung oder dem Gefasel eines Innenministers Friedrich.
„Schwachsinn, Absonderung, Gefasel“ – kanns sein, dass ich Uhl und Friedrich nicht nur nicht mag, sondern bei ihrer Erwähnung auch die guten Manieren vergesse? Jepp. Ich halte das für wichtig und richtig. Nebenbei habe ich gleich der Loboschen These eine Spitze abgenommen: mitnichten sind im Netz gute Manieren immer notwendig oder für alle wünschenswert. Es gibt gar viele gute Gründe, selbige gelegentlich außen vor zu lassen. Das schöne dabei: es kann jeder halten wie der auf dem Dach. Ich wills erörtern.
Die Parallele zum Reallife ist Unsinn
Lobo bringt die stramme These, dass das ganze offline ja funktioniert, und macht damit einige Fässer auf: dass man die Blumen in den öffentlichen Anlagen nicht pflückt und keiner auf die Straße rotzt, sind aber insbesondere schöne Beispiele. Nichtsdestotrotz parken die einen den Radweg zu, schmeißen die anderen die Flaschen in den Park und verkaufen die dritten die Bildzeitung. Vieles vollkommen legal und manches sogar gesellschaftlich akzeptiert. Dass dann noch der eine Depp dem anderen irgendwann das Bierglas in die Fresse rammt, ist schon wieder meist halböffentlich, aber das gilt fürs Netz auch: nicht überall guckt alle Welt zu und da wird dann eben auch über die Stränge geschlagen. Am Ende fehlen nur keine Zähne. Lobo wird sagen, das sei der Anteil der Idioten, den es immer gibt und den eine Gesellschaft verkraftet, aber mit Verlaub: dann braucht man die ganze Diskussion gar nicht führen, denn dann ist eh alles in Ordnung. Bzw. schlimmer, denn im Netz kann ich viele Sachen nicht sagen und machen, die im RL in der Regel folgenlos bleiben.
Manierlichkeit wird vielerorts durchgesetzt. Wer Wert drauf legt, soll dorthin gehen bzw., dort bleiben
Öffentlich/halböffentlich hab ich das Fass bereits aufgemacht. In den meisten „öffentlichen“ Plattformen wird eh munter moderiert und die lobosche Manierlichkeit mehr oder weniger restriktiv durchgesetzt. Und so kloppen sich die einen in den Blogkommentaren und die anderen im SpOn-Forum und die dritten im IRC, jeweils, bis halt einer heult oder der allmächtige Op den Banhammer schwingt. Für alle gilt: wems zu heiß wird, soll nicht in die Küche gehen. „Küche“ meint für die zarter Besaiteten eben Zeit Online und für die härteren halt Heiseforen, und wers gerne in Richtung finnische Sauna mit Birkenzweigauspeitschen hat, gibt sich ein wenig /b/. Wenn man genug hat: raus an die frische Luft. Hilft. Meist kriegt man das sogar mit nem Mausklick hin, im Unterschied zu mancher ach so manierlichen Reallife-Auseinandersetzung. Dass man da nicht eben mal den Monitor ausmacht und anschließend seine Ruhe hat vor den Mitmenschen, sollte manch einer schon erlebt bzw. mehr oder weniger schmerzlich verspürt haben.
Filtern statt ärgern
Ich werde den Teufel tun und meine Umgangsformen an einen wie auch immer gearteten gemeinsamen Nenner anpassen, nur weil manche Leute zu blöde sind, den „Unfollow“-Button auf Twitter oder den Zurück-Knopf ihres Browsers zu betätigen. Kein Mensch wird ins Netz, geschweige denn auf eine bestimmte Plattform geprügelt.
Schutzmöglichkeiten sind nur bedingt wirksam, aber eh eine höchst subjektive Kiste
Funktionieren kann das alles von vornerein nicht, einem Spammer oder Troll kann man viel von Manieren erzählen, und was einem 14jährigen manierlich scheint, muss dem 40jährigen längst nicht gefallen. Auch jenseits der „allgemein geteilten“ Ansichten zu „guten Umgangsformen“ (allein die Existenz dieses Begriffs macht mich nebenbei wünschen, selbige zu ignorieren) gibt es beispielsweise so manche Äußerung, die mich verärgert, schlicht, wenn sie meine Intelligenz beleidigt. Absonderungen von Homöopathieanhängern gehören regelmäßig dazu, manches von der täglichen Verarschung, die hochoffiziell von führenden Persönlichkeiten geäußert und allgemein toleriert durch Massenmedien weiterverbreitet wird, Farmville- und Tageshoroskop-Posts, die aus unerfindlichen Gründen in meine Timeline wandern – aber allen gemein ist, dass ich sie mit mehr oder weniger großem Aufwand ignorieren kann. Wie ich eben auch im RL vieles ignoriere oder dankenswerterweise gar nicht mitbekomme. Auf was ich rauswill: wenn wir nun loslegen und einen Netzknigge dahingehend verbrechen wollen, der es auch nur einem Teil der Leute recht macht, dann kommt trotzdem was raus, was einen Großteil der Äußerungen nicht abdeckt, die man als intelligenter Mensch als Hohn empfindet. Es darf sich jeder als „intelligenter Mensch“ angesprochen fühlen, von der Intelligenz heißt es ja, dass jeder meint, genug davon zu haben. Auf was ich raus will: es bringt nichts, allgemein nichts und subjektiv für niemanden. Das bringt mich wiederum zu meinem Fazit:
Das ganze mag gut gemeint sein, ist aber Scheiße, da das allgemeine Scheitern vorprogrammiert ist. Weswegen man es tunlichst unterlassen sollte, ähnliches auch nur unverbindlich zu versuchen. Jedes Scheitern solcher Versuche wird nämlich bei der nächstbietenden Gelegenheit von den üblichen Idioten herangezogen für ein „Seht ihr, deswegen brauchen wir $restriktive_massnahme_x, weil im Guten hats ja nicht geklappt.“ Schon allein, um solche zwangsläufig geäußerten Zumutungen an meine Denkfähigkeit zu vermeiden, mag ich das Manieren-Experiment ganz schnell wieder begraben. Alleine, ich fürchte, dafür ist es zu spät. Und Lobo ist schuld, fick dich, du Pillermann-Arsch, elender.