…und ich bin extremst dafür, den Verantwortlichen und Mitwissenden die ganze herausgekommene Abhör- und Überwachungsscheiße um die Ohren zu schlagen, bis einem der Arm müde wird, aber im konkreten Fall (ok, eigentlich generell) bitte ich ums Hirn-Einschalten. Was ich bei Welt, Tagesschau und auch gulli lese, ist das immergleiche „Dies diene aber nur internen Zwecken wie dem korrekten Briefversand“-Statement, schön im Konjunktiv. Keine weiteren Infos, soll jeder für sich draufkommen, nun Scheiße zu brüllen. (Nachtrag: Der Tagesspiegel ist bei PIN etwas ausführlicher.)
Bevor das jetzt alle tun, bitte ich sie, mal einen beliebigen Standard-Postbrief anzugucken, den sie in den letzten Wochen bekommen haben. Außendrauf, diese orangenen aufgedruckten Linien unter/neben der Adresse, seht ihr die? Und erinnert ihr euch, wie lang die schon drauf sind? Schon *sehr* lang. Die druckt die Post auf Briefe und Postkarten. Und warum? Weil darin unter anderem die Postleitzahl codiert wird, damit man den Brief automatisch sortieren lassen kann. Und wie kommt das da drauf? Da sitzt mitnichten ein Mensch und mundmalt die liebevoll, nachdem er sich ans Hieroglyphenentziffern gemacht hat, das passiert natürlich automatisch, und dafür wird der Brief gescannt. Und hier sind wir bei dem Punkt, wo das „Die fotografieren unsere Briefe!“ ungefähr so dramatisch (und neu) wird wie die Erkenntnis, dass auch jedes Blatt, das man wo auf einen Kopierer legt, eben auch fotografiert wird.
Ich hatte während meines Studiums im Briefverteilzentrum Tübingen/Reutlingen gearbeitet. Selber in der Großbriefverteilung, die tatsächlich noch von Hand sortiert wurde, aber auch da kamen zu meiner Zeit die ersten automatischen Sortiermaschinen, nur eben noch recht fehleranfällig bzw. mit einigem Ausschuss, der händisch weitersortiert werden mussten. Grund;: Standardbriefe und Postkarten sind einfach. Immergleiche Formate, recht einfach lokalisierte Adressfelder und entsprechend gut automatisch erkennbare PLZ, meist auch mit gedruckter Adresse. Großbriefe sind schwierig: Unterschiedliche Formate, unterschiedliche Dicke, möglicherweise zerbrechlicher Inhalt, gekrümmte Oberfläche, eingeschweißt, whatever. Am schlimmsten sind Formpostkarten. Es ist eben schwer, da die Postleitzzahl automatisiert zu erkennen und als Strichcode aufzudrucken. Deswegen passierte da noch viel von Hand, jedenfalls wars zu meiner Zeit – späte 90er – so.
Wie gesagt hat man es bei Briefen einfacher. Die werden beim Eingang ins Verteilzentrum gescannt, die PLZ wenn möglich ausgelesen und strichcodiert auf den Umschlag gedruckt. Wo die Maschine unsicher ist, gibt sie es an eine der freundlichen Post-Schichtkräfte auf einen Bildschirm, was sie grade gescannt hat, und die freundliche Schichtkraft mit der besseren Mu8stererkennung tippt die PLZ kurz ein, und schwupp, wird auch hier der Strichcode aufgedruckt. Was lernen wir daraus?
a) natürlich werden alle Briefe „abfotografiert“ – wie es auch bei jedem Scan- und Kopiervorgang mit der Vorlage geschieht.
b) alle Medien sind bislang zu blöd dazu, dem Statement der Post ein seit Jahren allüberall sichtbares Beispiel und Ergebnis dieser Adressfotografiererei beizugeben.
c) das Abfotografieren allein heißt noch gar nichts und ist in der Tat notwendig.
d) zumindest damals wurde anschließend nur die Postleitzahl codiert aufgedruckt. (Nachtrag: heute wohl deutlich mehr, s.u.)
Denn im Zielgebiet der PLZ kann der zustellende Postbote in der Regel selber seine Tour „zusammenstecken“. Zumindest damals. Wie gesagt, es ist durchaus möglich, dass auch die Straßen ausgelesen werden und gleich entsprechend maschinell sortiert wird, das weiss ich aber schlicht nicht. (Update: Geht alles, passiert schon, inclusive selbstlernenden Adressdatenbanken, siehe Nachträge und Infolinks unten.)
Der Hauptpunkt aber nochmal; es ist unabdingbar, dass die Briefe abfotografiert werden, es ist schon ewig so und wohl einer der Gründe, dass das Briefporto erstaunlich stabil blieb. *Jeder* Brief mit den orangenen Strichcodes wurde definitiv abfotografiert. Bei Großbriefen, Formpostkarten, Päckchen etc. ist das nicht ebenso leicht nachprüfbar, hier würde es mich nicht wundern, wenns tatsächlich meist nicht der Fall wäre, da man auf einen nicht unerheblichen Teil da einfach nichts draufdrucken kann und stattdessen eben händisch sortiert. Und bei Paketen hat man eh den Zustellcode/Barcode für die Sendungsverfolgung.
Wenn hier ein wenig mehr Infos nachkommen, was tatsächlich mit den Scandaten passiert, mich würds durchaus interessieren.
Nachträge:
- Siemens zum Scanverfahren ihrer Briefsortieranlagen: Komplette Adressen können in allen Sprachen ausgelesen und passend zur Zustellertour sortiert werden
- Adresserkennung kann „online wie offline“ durchgeführt werden, ich interpretiere das als „Autarkes Sortiersystem wie auch mit Anbindung an weitere Datenverarbeitung“
- Das Adressausleseverfahren gibts auch in selbstlernend.
Das klingt mir alles technisch sinnvoll und selbstredend auch mit ausreichenden Schnittstellen für Infoabgreifer versehen. Was ich nicht explizit gefunden habe: die Zuordnung von Absender- und Empfängeradressen, was technisch trivial sein sollte, der Sortieranlage ist ja offenbar egal, wie herum Briefe einlaufen. Mein Hauptpunkt nach wie vor: das ist schon ewig so. Bitte bedenken.
Das kann ich nur bestätigen. Die Deutsche Post veranstaltet ja in hiesigem Briefzentrum ab und zu ein Tag der offenen Tür und führt dabei eben das von dir beschriebene Prozedere vor, Erklärung der Technik inklusiv. Solche Tage der offenen Türen finden bundesweit statt. Es sollte also Tausenden, wenn nicht sogar Millionen von Menschen bekannt sein, wie und warum die Post scannt.
Dass jetzt die Presse deswegen trotzdem aufjault, werte ich als Trittbrettfahrerjournalismus. Zeitungen, die von Snowden keine exklusive Infos bekamen, versuchen eben auf die Schnelle auch etwas Besonderes aufdecken. Jeder will ein Skandal finden, um auf der allgemeinen Empörungswelle auch mitfahren zu dürfen. Ts, ts, ts, als ob wir nicht genug echte Probleme hätten.