So, Tag 3. Ein paar Rückblicke und ein paar Gedanken. An sich wollte ich den Rant letztens ein wenig hinterfüttern, aber gerade scheint mir das alles wieder etwas zu sehr ins „Teile und Herrsche“ abzudriften: die x-te Auflage von Blogger vs. Journalisten vs. Hacker vs. Aktivisten ist schlicht dämlich. Insbesondere wegen dem ersten, was ich meine, diesmal mitnehmen zu können.
Der Congress ist nochmal deutlich (explizit) politischer
Einer der Aufhänger dafür: der gestrige Theater-Slot V wie Verfassungsschutz. Begann langsam, wurde grossartig und mit ziemlichen Nachwirkung. Ja, wir kennen die ganzen peinlich-verlogenen Verfassungsschutzgeschichten, es ist einfach so schon scheußlich gewesen, und das nochmal komprimiert, aus einigen Blickwinkeln und dermassen gut und eindringlich gebracht, ich kam raus und war einfach fertig. Und ich hätte einen Event dieser Art jetzt nicht auf einem Congress erwartet, und ich bin verdammt glücklich drüber, dass sowas hier stattfinden kann und dass es Standing Ovations von einem Publikum bekommt, das man aus dem Stand jetzt nicht sofort als theateraffin eingeschätzt hätte.
Das mal „im Guten“. Im Schlechten ist diesbezüglich einiges bedrückender als sonst, das zumindest mein Empfinden. Es macht keinen Spass, „es schon immer gesagt“ zu haben, wenn das Beschriebene ein Haufen totalitärer Scheiße ist, wie wir sie gerade erleben. Dazu die selbstgerechte Riege der Akteure, die aussitzt, beschwichtigt, lügt und weiterlauscht, einen ehemaligen Hoffnungsträger im Weißen Haus, der das Konzept Friedensnobelpreis erfolgreich dekonstruiert und eine neue Regierung in Berlin, die mangels Opposition wahrscheinlich genau das tut, was man befürchtet. Es ist schwierig, nicht zynisch zu werden.
Schöne Dinge
Umso wichtiger scheint mir, dass auch schlicht die schönen Dinge stattfinden. Ob das nun das Seidenstrasse-Rohrpostsystem ist, der vollautomatische Cocktailmixer oder eben auch ein Vortrag über die SOPA-Proteste in den USA, die jetzt inhaltlich/aktivistisch nichts neues boten, aber die einfach nochmal zeigten: ja, es geht, man kann immer noch was machen und im Netz passiert viel großartige Scheiße.
Außerdem ist die FTP-Situation deutlich besser als letztes Jahr. Angesehen davon, dass die wieder zahlreicheren Kisten halt dennoch tendenziell überfüllt sind. Aber das ist OK, Hauptsache, sie stehen da und sie schaufeln Daten, und das tun sie.Unbehagen um die Ecke herum
Ein Gedanke, der mir erst seit heute im Kopf rumgeht: ich bin ja nun überhaupt nicht jobbedingt hier (und durchaus froh dran). Das war auch schon mal anders, aber nun, Onlinemarketing und SEO ist auf dem Congress nun wirklich kein Thema (dem Himmel sei Dank). Anonymität, Usertracking, Überwachung etc. sinds aber durchaus, und irgendwann im Lauf des heutigen Tags fiel mir (ich glaube, wegen eines Facebook-Bashings irgendwo) auf, dass mich das bezogen auf übliche Jobthemen nicht im geringsten beunruhigt.
Konkreter: ich mach mir nicht die geringsten Sorgen, dass irgendwann in absehbarer Zeit auch nur ein merklicher Bruchteil von Facebooknutzern wegen Privatsphäre/Tracking-Bedenken wegbrechen, sich verstärkt anonymisieren, whatever tun könnten.
Ich glaube nicht, dass einer der Facebook-Alternativen mit besserer Privacy auch nur in der dritten Liga mitspielen wird, was zukünftige Social-Plattformen angeht.
In Sachen Webtracking gibt es so Sachen wie (not provided), 3rd party cookie-Ablehnung per Browserdefault, und die sorgen in der Branche für Kopfschmerzen, aber ich denke nicht, dass auch nur einer aus der Branche schlechter schläft, weil mehr Leute TOR nutzen könnten oder nur noch im Pornomode des Browsers surfen.
Ich glaube, wir könnten monatlich einen CCC-Congress abhalten und dennoch würde Qualität und Menge der Profiling-Daten via Web permanent und eher exponentiell weiter steigen.
Das alles muss nicht unbedingt ein Problem sein. Im Gegensatz zu NSA, BND und Konsorten handelt es sich hier um völlig andere Daten, Motive und Möglichkeiten, und ich will hier auch auf keinen Fall die Nebelwerferarschlöcher a la „jaja, Prism ist schon nicht ganz cool, aber hey, gegen Terroristen, und überhaupt, guckt mal hier, Facenbook!“ in irgendeiner Weise unterstützen, aber es fiel mir auf, und ich denke, es ist ein Indikator dafür, wie (un)realistsch es ist, tatsächlich flächendeckend Krypto und überwachungsfeindliches Onlineverhalne zu etablieren.
Kurz noch: Communities und Vereinzelung/Filterbubbles
Ein schwer angenehmes Treffen mit DocAnonymous_ gestern machte mich auch noch ein wenig zu einem ganz anderen Thema grübeln: an sich redeten wir ein wneig übers gulli:board und die aktuellen und früheren Geschehnisse drumrum und kamen ein wenig zur allgemeinen „Forensituation“, und seitdem geht mir der Gedanke nach, dass trotz allem „Social“ das Netz tendenziell eher „vereinzelnder“ geworden ist ale es noch vor fünf Jahren war. vBulletin, phpBB und Konsorten waren jetzt vielleicht nicht der unglaubliche Fortschritt verglichen mit Usenetstrukturen, aber was seitdem kam und die „Zeit der Foren“ inzwischen zu einem weiten Teil abgelöst hat, scheint mir fürs Handling größerer, heterogener Gruppen weniger geeignet und an sich auch gar nicht gedacht. Twitter vielleicht noch, was eben wirklich vergleichsweise flexivbel ist, aber obs nun Facebook ist oder tumblr oder was sonst noch rumspringt: alles scheint mir nicht mehr in dem Maß zu ermöglichen, viele Menschen verschiedenster Couleur in eine gemeinsame, persistente Diskussion zu bringen. Gruppen auf FB sind, sagen wirs direkt, wahlweise ein Witz und/oder scheiße. Sie sind definitiv nicht als „Gruppenkommunikarionsmedium“ geeignet. Ich erwarte von einem Gelddruckmedium wie Facebook auch nichts dergleichen, aber es fiel mir eben auf, dass wir aktuell nichts mehr so richtig geeignetes mit Reichweite haben, und es scheint mir schade. Oder denk ich da grade völlig falsch oder unzulässig romantisierend?
Wie auch immer, das mal vom Tag drei, vor allem auch, dass ichs nicht vergesse, was mich seitdem ein wenig an Fragen umtreibt. Demnäxxt Assange, ich bin gespannt.
Moin, ich hab die Theateraufführung leider nicht gesehen, aber ich hatte auch eher den Eindruck, dass bei den politischen Beiträgen ein neuer Level oder auch eine neue Stufe der Hilflosigkeit erreicht wurde.
Du hast ja selbst geschrieben, dass man eigentlich mit effektiven Mittel den ganzen Überwachungsapparat trollen müsste. Aber ein Troll sein kostet einen Haufen Energie und KnowHow. Wir bräuchten eine ganze Troll-Bot-Armee.
Nicht, dass ich irgendeinem geheimen Dienst auch nur weiter über den Weg trauen würde, als ich spucken kann, aber der gefühlte und gemessene Vertrauensverlust in sämtliche Staatsorgane, die mit „Sicherheit“ zu tun haben, hat die Skala auf diesem Congress komplett gesprengt.
Der Selbstschutz mit ein bissel Gegenwehr durch Verschlüsselung funktioniert immer nur wenn nicht irgendein Kommunikationspartner, ein Softwareupdate, eine neue hinterrücks ins OS integrierte Cryptolücke, oder ein neugieriger Militärforscher einen neuen Weg zur Umgehung geschaffen hat. Hase und Igel Spiel egal wie schnell man als Hase ist, oder halt auch Sisyphos in Reinform.
Facebook… die Zahnpaste geht nicht wieder in die Tube zurück. Der Mensch ist nunmal in erster Linie ein Primat. Derzeit wissen wir nur den NSA Teil von Snowdens Leak (okay und bissel was zu Schweden), was der BND treibt liegt in dunkelster Nacht. Was die anderen Dienste im Detail treiben ebenfalls. Es wird wohl noch gruseliger.
Ganz ehrlich, mir wäre mittlerweile eine LowTec-Encryption mit Perfect Forward Secrecy ausschließlich für die textuelle Kommunikation ganz Recht. Und zwar mit AirGap zu meinem Rechner. Ein dediziertes Gerät nur für meine Kommunikation. Denn dem kommerziellen OS X trau ich keinen Meter mehr über den Weg. Ich fühle mich auch nicht im Stande zu prüfen, ob meine Kiste grade kompromittiert ist oder nicht. Und Apple, Dropbox, Microsoft, Google mag ich da nicht trauen. Kann ich Mozilla noch trauen? Ich weiß es einfach nicht.
Ich möchte mal wieder ein System, auf das Verlass ist, wie ein Lichtschalter, der AN und AUS beherrscht und zuverlässig funktioniert. LowTec eben, durchschaubar, eigenständig, stabil und ohne ständige Softwareupdates und Patches die den sicheren Kommunikationskanal jedesmal wieder potenziell zerstören können und Angriffsvektor für die Dienste ist.
Ich find’s gut, dass Constanze Kurz jetzt unterstützt durch die Community Strafanzeige stellt gegen den „Haufen totalitärer Scheiße“. Das werde ich nach Kräften unterstützen denn Nichtstun ist irgendwie so gar keine Lösung.
Ich hab auch schon überlegt, ob es nicht sinnvoll wäre das Geldsystem zu trollen. Denn letztlich ist das der große Motor, der die ganze Überwachungskacke versorgt. Der ganze Kram muss ja unterhalten, gewartet und personalaufwändig betrieben werden. Hauptantrieb sind wirtschaftliche Interessen. Niemand würde der NSA ein Rechenzentrum verkaufen, wenn nicht so massiv viel Kohle damit zu verdienen wäre. Und hinter dieser Kohle sind alle her, weil das Geldsystem dazu quasi jeden auffordert ja quasi zwingt in seinem jetzigen Zustand.
Warum also nicht mal die zentrale Infrastruktur trollen, die Wurzel, statt oben in den Wolken mit bissel gefühlter Crypto das Regenschirmchen aufzuspannen gegen einen ausgewachsenen Dauerwolkenbruch? Für diese Trollaktion müsste man aber von den Besten lernen. Wir bräuchten schon sehr exzellentes Trollwissen, für die ultimative Trollierung.
Ja, uns fehlt dann auch noch ein „Lagerfeuer“ aka Forum das nicht suckt. Die sind alle weggestorben wegen „Lagerfeuer“-Inflation. Die Weiterentwicklung ist eingeschlafen, und ein solches Forum müsste ja auch erstmal wieder Anonymität bzw. Überwachungssicherheit hinkriegen. Verschlüsselte Mailinglisten sind ja schon eine Herausforderung, aber ein Forum? Dafür bräuchte man auch schon wieder oben angesprochenes Air Gapped Security Communication Device.
…meine paar Gedanken dazu.