JMStV-Entwurf: Bürgerbeteiligung als Checkbox im Projektplan (Update)

Vor etwas über einer Woche schrieb ich über den „Versuch“ des Jugendschutz Sachsen, dem nächsten Anlauf der JMStV-Reform ein wenig Bürgerbeteiligung und öffentliche Diskussion zu gönnen. Ich wollte es mir abgewöhnen, aber kam nicht umhin, nach einigen eigenen Kommentaren und Anmerkungen auf der „Diskussions- und Beteiligungsplattform“ das Elend seitdem auch ein wenig interessiert weiterzuverfolgen.

Abendfüllend war das nicht. Erstaunt haben mich die vergleichsweise wenigen Beiträge nicht, denn die Seite ist ein Usabilityalbtraum. Erstaunen sollen hätte mich die komplette Funkstille aus der Gegenrichtung, (UPDATE: auf nachfrage wegen dem kaputten Mailformular erreichte mich Antwort! – siehe unten) allein, man erwartet es ja nicht anders. Aber weil man es anders erwarten sollte, ja muss, nochmal ein Rant. Denn der Start dieser „Beteiligungsplattform“ scheint mir als Ziel keineswegs eine Beteiligung irgendeiner Form zu sein, sondern einzig und allein das Häkchen in der Checkbox, das irgendein genervter Projektmanager machen konnte, nachdem ihm von irgendeiner Stabsstelle ein „Wir machen was mit Medien und Internetz, wir müssen da auch so ne Internetz-Plattform haben und so dieses Social-Dingszeug, von dem man grade so viel liest.“aufs Auge gedrückt wurde. Irgend ein armes Schwein von Techie setzt eine Kommentarfunktion auf und packt ein paar Fragen rein, die ein Praktikant irgendwann mal statt Lorem Ipsum in den Projektplan hingetippert hat, damits bei der Präse besser aussieht. OK, läuft, Fire and Forget.

Wie komme ich drauf? Nun, wir haben dort eine Beteiligungsplattform, auf der nach kurzer Zeit Fragen kommentiert, beantwortet und kritisiert wurden. Letzeres durchaus fundiert, wenngleich das nicht immer möglich/nötig war, denn die Fragen sind zu weiten Teilen entweder schlecht, missverständlich oder absurd. Die Probleme der Adressaten mit den Fragen werden nach den ersten paar Kommentaren klar, Reaktion: keine.

Nach diesem ersten Feedback nach Launch schläft die Beteiligung recht vollständig ein. Man *muss* sich als Betreiber fragen, warum, denn einige Premiumchannels haben die Geschichte verbreitet. Heise schrob drüber, Alvar erklärte mit einer mir fehlenden Engelsgeduld die Denk- und Fragefehler, ein Kommentar bei Heise hatte symptomatischerweise mehr Kommentare als alle Fragen und Absätze der Jugendschutz-Plattform zusammen, bei Hyperland meldete sich sogar eine bessere Sockenpuppe fürs Zensurschönreden, und wie gingen die Initiatoren auf die dort stattfindende, auf der eigenen unzureichenden Plattform ausbleibende Debatte ein: Richtig, gar nicht. Warum auch.

Teamwork mit dem Jugendschutz Sachsen

Teamwork mit dem Jugendschutz Sachsen

Nun komme ich nicht aus meiner Haut und nachdem es mir in der Seele wehtut, wenn man ein Thema derart in den Ofen schießt, das an sich Breitenwirkung, Reichweite, gesellschaftliche Relevanz, schlicht alles hat, was man sich als Online-Verantwortlicher einer Plattform wünscht, die gerne mehr Beteiligung und Nutzerinteraktion hätte, da dachte ich, nun ja, frag mal nach.


Hallo,

seit dem Start der Befragungs/Beteiligungsaktion an den geplanten Neuregelungen des Jugendschutzes beobachte ich die Geschehnisse nach anfängiichem Einbringen meiner eigenen Ansichten zum Thema. Nun drängen sich mir einige Fragen auf.

  • Ist geplant, dass sich die Initiatoren der Beteiligungsplattform irgendwann auch an der öffentlichen Diskussion beteiligen? Wenn ja, wann, wenn nein, warum nicht?
  • Mehrere Fragen/Problemstellungen wurden mehrfach als schlecht/irreführend gestellt oder gar als mehr oder weniger sinnlos bezeichnet. Werden hier Erläuterungen/Stellungnahmen folgen, werden andere Rückschlüsse gezogen, z.B. für kommende Aktionen? Wie wird das Problem gehandhabt, dass man mit Fragestellungen arbeitete, die offenbar für einen nicht unbedeutenden Teil der Adressaten unverständlich war?
  • Etwas globaler: ich bin selber in der Onlinebranche tätig und habe viel mit Unternehmen/Institutionen zu tun, die mit teilweise erheblichem Aufwand versuchen, mit ihren Kunden/Interessenten in den Dialog zu kommen und auch weniger „diskussionsanregende“ Themen einem breiteren Publikum nahezubringen. Hier wiederum haben wir ein Thema, welches einen Großteil der Bevölkerung betrifft, welches für erhebliche Kontroversen sorgt und an anderen Stellen permanent debattiert wird. Eine „Beteiligung“ wird hier zwar angeboten, aber offenbar kaum angenommen und weiter auch in keiner Form von der Iniatorenseite als „Dialog“ begriffen, bei dem eben nicht nur die Zuschauer zum Kommentieren eingeladen sind, sondern eben auch ein Rückkanal existieren muss. Haben Sie in irgendeiner Form geplant, ihrerseits über die Kurztexte auf dieser Seite hier mit den Seitenbesuchern und Kommentatoren zu kommunizieren, auf Fragen, Kritik etc. einzugehen?
  • Und zuletzt provokant: Oder handelt es sich bei dieser Plattform nicht etwa um ein Anhörungs- oder gar Beteiligungsangebot an die Bürger mit dem Ziel, tatsächlich zuzuhören, zu beteiligen oder gar mit den sich hier äußernden Bürgern *zu kommunizieren*, sondern um ein Kästchen in der Checkliste eines Projektplaners, in das ein „Bürgerbeteiligung“-Häkchen reingesetzt werden kann und nach Launch dieser Seite reingesetzt wurde und der Punkt damit abgehakt ist? Auf mich wirkt es wie letzteres, und ich weiss durchaus, wie eine Beteiligung von Menschen an einer Diskussion, einer Meinungs- und Entscheidungsfindung ablaufen kann.

Vielen Dank im Voraus für Ihre Antworten und beste Grüße,
Richard Joos
(Disclosure: kommentierend hier als „Korrupt“)

Ins Formular gepackt, Bestätigungsmail an mich-Häkchen gehakt, Captcha ausgefüllt, abgeschickt. Ergebnis: Nichts. Also nicht „Nichts“ im Sinne von „keine Antwort“, sondern im Sinne von „Seite lädt neu, keine Versandbestätigung, keine Checkmail an meine eigene Mailadresse wie angegeben“.

OK, ich will ja nicht gleich böswillig vermuten, dass da absichtsvoll was nach dev/null geht. Vielleicht kam sie vielleicht doch an und nur die Bestätigungsmail tat nicht? Einen Tag später nach Check des Postfachs und der Spamordner dasselbe nochmal, nur mit einer Gmail-Adresse. Ergebnis: siehe oben. Weder Bestätigungsmail noch eine Antwort.

Also dann direkt. Betrieben wird das Ganze laut Impressum vom Land Sachsen und einer umsetzenden Agentur (Polidia). Kontaktmails genommen, beide angemailt:


Hallo,

nach Versenden einer Mail über das Kontaktformular https://www.jugendmedienschutz.sachsen.de/sachsen/de/home/contact
erhalte ich trotz gesetztem Haken keine Mailbestätigung. Getestet habe ich das mit einer eigenen Mailadresse (gehostet bei ***, ****@zuviel.org) sowie meiner Gmail-Adresse (r****@gmail.com). Nachdem die Kontrollmail bei mir nicht ankam, ist mir nun natürlich auch nicht bekannt, ob überhaupt meine Mailanfrage irgend jemanden erreicht hat.

Spamordner habe ich geprüft, Captcha wurde korrekt ausgefüllt, nach Klick auf „Senden“ lud das Formularfeld ohne weitere Bestätigungen oder Fehlermeldungen erneut.

Inhalt der ersten Mail war


Ergebnis? Meine eingangs gemachte Vermutung, dass jemand das „Diskussionsplattform“-Kästchen im Pflichtenheft abhaken wollte und fürderhin nichts mehr mit diesem komischen digitalen Bürgerbeteiligungskram zu tun haben wollte, verdichtete sich erheblich. Man *will* offenbar auch gar nicht mit irgendjemand in die Diskussion kommen. Eine Kommentarhalde zum Beteiligungssimulation abkippen wird halt aufgemacht, wahrscheinlich freut man sich noch drüber, dass es kaum jemand bemerkt und wenn was passiert, wirds geflissentlich ignoriert, dann legt sich das wieder.
„Teamwork“, my ass.

Update, nachkorrigiert: Nein, es kam doch was zurück:

(grußfrequenzen, Bestätigung des Mailformularbugs)
…Die Plattform hat das Ziel, einen offenen und transparenten Dialog zum Thema Jugendmedienschutz zu ermöglichen. Dabei steht während der Onlinephase der Austausch zwischen den Nutzer(inn)en des Portals im Fokus. Eine Einbeziehung der 16 Länder ist aus zeitlichen Gründen erst wieder in der Auswertungsphase der Online-Konsultation vorgesehen. Die Verantwortlichen in den Ländern erhalten hierzu ein umfassendes Auswertungsdokument, in dem alle Beiträge der Nutzer/-innen miteinbezogen werden. Die im Rahmen des Gesamtprozesses gewonnen Ergebnisse werden in das Novellierungsverfahren des JMStV einfließen. Insofern handelt es sich hierbei nicht um einen „inhaltsleeren Dialog“, sondern um wertvolle Beiträge der Nutzer/-innen und die Ermöglichung eines transparenten Meinungsaustauschs. Der weitere Prozessverlauf wird auf der Website dokumentiert. Darüber hinaus bleiben die Beiträge nach Abschluss der Konsultation noch mindestens ein Jahr online einsehbar.
(/grußfrequenzen)

Ich kann mir nicht helfen, angesichts der erbärmlichen Fragestellung bleibe ich bei meinem Fazit, ergänzt vielleicht um die noch explizitere Verrmutung, dass wirklich nichts herauskommen *soll*. Ende Update.

Es ist zum Kotzen auf mehreren Ebenen. Nicht, das ich mit was anderem groß gerechnet hätte, aber dass es so schlimm aussieht und was da an Chancen und Möglichkeiten offenbar aus schlichter Ignoranz und Inkompetenz vertan werden, das ist nicht mal mehr 2004, das sind finsterste Neunziger. Aber dass der Jugendschutz mit jeglicher Art der Modernität ein Problem hat, nun ja, geschenkt.

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