Kurz und knapp: Galatasaray, Fenerbahce und Besiktas sind die drei großen Fußballvereine in Istanbul. Alle haben sie ihre Ultras, und wie es in den Lokalderbybezügen so ist: sie hassen sich.
Während der Proteste um den Gezi-Park kam es aber zu erstaunlicher Kooperation zwischen den Fangruppen, und Olli Waldhauer und Farid Eslam haben einen Film darüber (besser: dabei) gedreht. Gestern war eine Vorstellung in Wuppertal, Olli war anschließend auch da und was soll ich sagen: es hat mir gefallen.
„Istanbul United“ ist eine Doku. Die erfreulich wenig kommentiert, sondern einfach die Protagonisten und die Bilder für sich sprechen lässt. Erstere weniger, letztere mehr, und hier werden die Geschmäcker auseinandergehen, aber dazu gleich. Die Filmmacher waren *sehr* nah an allem – selber sagte Olli, eben nur ein paar Tage und nicht die Wochen, über die sich der Kampf (denn das war es) hinzog, aber die Tage wirklich mittendrin. Womit der Film auch keinen Hehl macht, auf wessen Seite er steht: während die Feindschaften zwischen den Ultragruppen „neutral“ dargestellt wurden, war wiederum in Sachen Gezi-Protestierer vs. Erdogan/AKP/Bullen vollkommen klar, auf wessen Seite der Film steht. Die Kamera ist mittendrin bei den Stadion-Events, sie ist mittendrin bei den Protesten und sie ist mittendrin im Tränengas. Und man kriegt ein Bild davon, was da alles passiert ist.
ISTANBUL UNITED offizieller Trailer – Kinostart 18.9. from PORT AU PRINCE on Vimeo.
Die erste Hälfte: die Ultragruppen. Die auch schon ihre durchaus politischen Motivationen haben, aber bei denen schlicht die gegenseitige Feindschaft im Vordergrund steht. Die wird „nachvollziehbar“, wenn man es so nennen will – soweit man die Kultur nachvollziehen kann oder will. Die zweite: die Gezi-Proteste, zu denen die Fangruppen irgenwdann dazustoßen und – eben unter „Istanbul United“ die Feindschaft für diese gemeinsame Sache ruhen lassen. Jedenfalls die, die sich beteiligen. Und natürlich ist es für eine mit massiver staatlicher Gewalt bekämpfte Protestbewegung von Vorteil, wenn man Leute dabei hat, die wirklich *einiges* an Erfahrungen hat mit Bullerei, Tränengas und Widerstand.
Man muss es angucken, viel mehr erzählen muss ich an sich nicht. Worauf man sich einlassen muss:
– Längen. Es liegt im Auge des Betrachters, mir kam vieles rational „zu lang“ vor. Man hats irgendwann verstanden, dass Ultragruppe A die Mutter der Ultragruppe B fickt. Man hats irgendwann bemerkt, wie derbe die Leute im Tunnel sind, wenn sie im Stadion stehen und ihren Club anfeuern. Auf der anderen Seite: gerade dass es dann lang wird, bringt einem alles irgendwie näher. Macht die Folge der Ereignisse nochmal besonderer.
– Offenes. Was in der Natur der Sache liegt. Es wird eben keine Stellung bezogen, man *sieht, was passiert*. Hat es auf Dauer was verändert? Was ist überhaupt passiert? Und wie ging es weiter?
Was dann im Film nicht kam, sondern von Olli anschließend erzählt wurde: ein Gutteil der Protagonisten ist aktuell im Knast. Es gab wohl weitere Proteste/Aktionen, und die Verhandlung wird sich unter anderem darum drehen, ob sie nun einen Bagger geklaut oder einen Versuch unternommen haben, die Regierung zu stürzen. Nach wie vor gibt es wohl Solidarität und Unterstützung, es hätte aber auch seitens einem der großen Vereine eine Distanzierung gegeben – denn natürlich hat auch die AKP und Erdogan in Istanbul nicht nur Gegner, im Gegenteil.
Man kann noch vieles weiterdenken – wie ists mit dem Ultranationalismus, der natürlich auch dort stark vertreten ist? Persönlich komm ich mit dem in der Türkei meist deutlich entspannter klar wie mit dem deutscher Prägung, aber ich denke, das ist teils begründbar, teils aber auch komplett irrational und wird vielen Bauchschmerzen machen. Wieviel Romantik ist da schon jetzt und wirds noch in Zukunft geben? Dass Erzfeinde – es gab Tote in der Vergangenheit – da gemeinsam kämpften, den Faschismus der Regierung anprangerten, einen wochenlangen Straßenkrieg gegen eine extrem brutale Bullerei ausfochten – ich kanns bestens nachvollziehen, dass man da hoffen und heulen will. Selber kommen mir die Fanstrukturen im Film nun nicht in dem Sinn „faschistoid“ vor, aber auch hier würde ich aber nicht mit einem argumentativ fitten Kritiker meiner Bauchmeinung diskutieren wollen, weil ich denke, rational begründen könnte ich das nicht wirklich. Auf der anderen Seite: muss man das angesichts der Geschehnisse diskutieren?
Mir hats irgendwo vor allem Hoffnung gemacht. Istanbul United ist schön, und ich denke, ein paar Leuten hier könnte er gefallen.
Website. Facebook. Auf letzterem auch die Daten der aktuellen Kinotour.
One Response to Istanbul United – The Movie. Ultras bei den Gezi-Park-Protesten