Vorab: folgend eine höchst subjektive Wahrnehmung, gespickt mit anekdotischen Informationen. Ägypten ist grade leer, kaum Touris da, und als ich einigen Leuten erzählte, wir ziehen ne Woche mit Beduinen durch die Wüste, ließen die ISIS-Witze nicht auf sich warten. Wie siehts dort grade aus bzw., was hab ich zu Gesicht bekommen?
1. Militär
Die Militärpräsenz ist hoch. Das heißt, sobald man mal über Land fährt, kommt man alle paar Dutzend Kilometern an Checkpoints mit Militärpräsenz vorbei. Das heisst, ein paar Leute mit Sturmgewehren und meist einem MG-Stand. Bevor ich wusste, das man dafür gegebenenfalls auch mal im Knast landen soll, knipste ich auf der Anreise auch ein wenig, zugegeben, zu sehen ist wenig.
Das, wie gesagt, entlang der Überlandstrecken. In der Wüste war davon nichts zu sehen auf unseren Routen, in Dahab selber ebensowenig. ZU heißeren Zeiten in Istanbul hab ich mehr auf der Istiklal gesehen als hier an den Checkpoints. Es scheint ihnen aber durchaus ernst damit: ab dem späten Abend kommt man nicht mehr nachts allein durch die Wüste über Land, da werden immer Konvois zusammengestellt, die dann zu fixen Terminen geschlossen von Checkpoint zu Checkpoint fahren. Weiter wird man schon zumindest „gezählt“ – teils Visa und Pass durchgesehen, teils einfach nur abgezählt, damit die Übersicht da bleibt, wieviele von A nach B gingen und dann von B wieder nach A zurückkehrten.
Was hats damit auf sich? Die verbreitete Wahrnehmung soll eine andere sein (drin bevor Pauschalzuschreibung). Einmal, gerade auch nach der Revolution sollen die meisten Ägypter eine starke Militärpräsenz eher als Zeichen von Sicherheit wahrnehmen, während wir damit in der Regel ja Krieg und Schlacht assoziieren. Ein interessantes Gespräch mit einem der Ägypter in Dahab (in einer nebenbei sehr spannenden Küche, bei Knoblauch und Honigzitrone, andere Geschichte) deutete noch auf einen weiteren Aspekt hin: Israel möge seine Nachbarn gern untermilitarisiert, es sei ein Zeichen dafür, dass Ägypten stark und eigenständig sei, wenn man ein vernünftig großes, gut ausgestattetes und präsentes Militär aufweisen könne.
Vorletzter Faktor: der Suezkanal wird erweitert, die feierliche Wiedereröffnung sei auf den sechsten August angesetzt. Da findet sich die komplette politische Prominenz der Region ein, und bis dahin DARF NICHTS PASSIEREN. Konkret: es wäre etwas scheiße, wenn es zur feierlichen Wiedereröffnung hieße, zwei Wochen vorher noch seien die Autobomben in Sowieso explodiert und jetzt soll sich die Politelite des Nahen Ostens treffen. Kann ich ein Stück weit nachvollziehen.
Letzter, durchaus amüsanter Faktor, aber das scheint mir mit Vorsicht zu genießende Information: die Touristen werden vor den Beduinen geschützt. Denen werde nicht so recht getraut. Es entbehrt nicht der Ironie, dass wir brav angegeben haben, als Touristen nach Dahab zu fahren, und damit durch die Checkpoints zu kommen, die uns vor den Beduinen schützen, mit denen wir anschließend ne Woche durch die Wüste tigern.
2. Beduinen
Deren Status ist mir die ganze Zeit nicht so recht klar geworden. Schnittmengen sind fließend, in Dahab gibts einen großen Beduinenmarkt, und klar, die Leute kommen rum. Sie leben unter anderem in teils wohl öffentlich, teils auch mit EU- oder UN-geförderten Bauprojekten – siehe die erwähnte Schule, deren Bau als Tourismusziel IIRC eben UN-geförderte Infrastruktur/Entwicklungsmaßnahme war. Recht übereinstimmend hieß es, sie wären rein rechtlich eigentlich auch zum Militärdienst verpflichtet, ob nur die, von denen wir erfuhren, nicht waren, ob sie halt nicht gehen oder inoffiziell einfach nicht gefragt wurden und an sich auch nicht *sollen*, keine Ahnung.
Religiösität, klar, stark präsent. Was wiederum nicht unbedingt etwass heißen will, ich lese grade ein durchaus spannendes Buch von Wael Ghonim, „Revolution 2.0“, in der er erzählt, wie er vor und in der Revolution einige der größten Facebookseiten zur Vernetzung des Widerstands betrieben hat. Er äußert sich (zumindest soweit, wie ich grade bin) sehr wohlwollend zu den Muslimbrüdern, ist selber stark religiös und zog aus seinem Glauben einen erheblichen Teil seiner Motivation zu seinem Handeln. Er arbeitete währenddessen/danach bei Google. Zum Buch auch später mehr. Auf was ich raus will: die starke Religiösität ist mitnichten ein Alleinstellungsmerkmal ausgerechnet der Beduinen.
Zu guter Letzt: halb- und illegaler Kram. Ich sag mal nur, dass in Ägypten beispielsweise die Situation auf gewisse Drogen ähnlich ist wie in .de: verboten ists wohl, aber alle tuns trotzdem. Wie weit sowas eine Rolle spielt, kann ich nicht sagen, auch hier scheinen mir an sich viele verschiedene Akteure durchaus möglich/plausibel.
3. Was machen die sonst so?
Mein Eindruck: Das Mischmasch an Tradition und Tourismus, das eben funktioniert. Man sieht das „Althergebrachte“ – siehe Handwerk und Tierzucht, aber nur damit gehts halt nicht mehr. Die meisten Beduinen, mit denen wir uns unterhielten, hatten dann doch die verschiedenen Wohnsitze (wenn beispielsweise die Eltern noch in der Wüste wohnen und die Kinder in der Stadt zumindest halbjährlich zur Saison), und wer „nur beduinisch“ lebte, schien mir schwer abhängig vom Tourismus und dem Kramsverkauf – es gibt schöne Web- und Knüpfgeschichten, aber eben auch viel Schmuckramsch, dessen verkauf mir so halb Geschäft und halb das Äquivalent zum Taschentuchverkauf in Istanbul schien: offiziell verkauft man was, damits nicht direkt aussieht, als ob man bettelt. Und an den Touriorten eben die normalen Waren und Dienstleistungen, die es eben braucht. Besagter Friseur im Bild oben war im Übrigen geschätzte 12 und schnitt mir feinst die Glatze.
Ein wirklich anrührender Moment war indessen am Ende der Reise. Einmal großes Abschiednehmen, und wer mich kennt, weiss, dass ich nicht zum Romantisieren letztendlich geschäftsmäßiger, womöglich kulturübergreifender Beziehungen neige, aber einmal waren einem die Leute schon etwas ans Herz gewachsen – man hat zünftig miteinander gefroren und gefeiert – und dann kam die Ansage, man sei extrem glücklich über die Tour gewesen. Dazu sei zu wissen, dass sie selber so etwas nicht mehr wirklich machen könnten – man habe seine Kamele, das seien eben Arbeitstiere, aber man käme tendenziell selten eben mal eine Woche in die Wüste,könne wie früher reisen, lagern, usw. da seien die Möglichkeiten inzwischen einfach nicht da.
Unsere Führerin meinte auch, es sei nicht ganz trivial, das Team zusammenzubekommen – die Beduinen, die mitreisen, hätten eben auch ihre Verpflichtungen, sei es andere Arbeit, Familien etc., und das Verhalten eines Kamels sei auch nicht unbedingt immer ein gutes Geschäft, denn Aufzucht und Futter kosten und entsprechend gibts auch einige recht schlecht gepflegte Tiere. Hatten wir nicht, aber ich meine, man sah gelegentlich schon den Unterschied zwischen richtig gut gehaltenen Tieren und denen, wo man eben nicht auch noch den Beutel Kraftfutter kaufte, wenns eigentlich notwendig war.
4. Sicherheit
Und nun? Von dem, was ich gesehen hab, ist es in Ägypten ruhig. Zu ruhig, wie gesagt, denn schließlich bleiben die Leute weg. Mir wäre nichts aufgefallen, was gegen den Aufenthalt dort spricht, was zugegebenermassen aus einer sehr eingeschränkten Perspektive geäußert wird, die Woche Wüste hin oder her. An einem Lagerplatz fanden wir mal ne Patronenhülse, aber das ist auch eher anekdotische Erzählung, weil ich sie mir in die Jackentasche steckte, vergaß und sie prompt erst beim Gang durch die Flughafensicherheit wieder auffiel. Es ist ein wenig eigenartig, wenn sich mehrere ägyptische Wachmenschen eine Patronenhülse ansehen, die sie dir grade aus der Tasche gezogen haben, aber nach kurzer Beratung wurde mir eröffnet, ich dürfe fliegen, die Hülse werde indessen einbehalten.
5. Es ist also ruhig?
Zu ruhig, wie gesagt. Wobei es eine seltsame, in der Region aber tendenziell verbreitete Parallelität von Schließungen/Verfall und extensiver Bauerei gibt. Da steht ein vor einiger Zeit geschlossenes, wohl schon voll im Betrieb gewesenes Hotel leer, daneben wird gebaut.
Zahlreiche leere Wohnungen, und im Dutzend halbfertige Rohbauten in der Pampa. Ich denke, es spielt eine Rolle, dass man wirklich was mittendrin halb fertig stehenlassen und später weitermachen kann, ohne dass die Witterung zügig einen Rohbau zur Ruine transferiert. Und rohgebaut wird, das ist einmal dem begonnenen und jäh gebremsten Tourismusboom geschuldet, zum anderen, weil wohl auch staatliche Umsiedelungsprogramme gefahren werden, um den Ballungsraum Kairo zu entlasten. Die Effekte sehen ungewohnt aus, es scheint aber durchaus seinen Sinn zu haben.
Wie öfter: man steht daneben und obgleich man dann doch gefühlt einiges mit den Leuten spricht und nicht grade nur zum Schnorcheln und sich den Cocktail an die Liege bringen lassen unten ist: man fragt sich schon, wie so vieles läuft.
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