Vor ein paar Wochen stieß ich auf ein Statement von Gronkh, in dem er seine, nun, „Bedenken“ angesichts der neuen Youtube-Monetarisierungsrichtlinien darlegte. Die beinhalten, dass „nicht werbefreundliche“ Inhalte in Zukunft von der Monetarisierung ausgenommen werden können. Auf den zweiten Blick merkte ich, das Video ist ein paar Monate alt und hakte es erstmal unter „heißer gekocht als gegessen“ ab.
Nun kam ein etwas drastischer (zusammengeschnittener?) Nachklapp, den ich kurz zusammenfasse mit
– nicht werbefreundliche Inhalte werden tatsächlich in steigender Zahl aus der Monetarisierung rausgenommen
– entsprechend wandert jetzt eine wachsende Zahl von Videos nach Twitch, und
– scheiß YouTube.
Langfassung hier:
Meine Gedanken dazu: „nicht werbefreundlich“ ist laut den Richtlinien alles, was eben auch den „allgemeinen“ YouTube-Communityrichtlinien widerspricht. Das betrifft Gewaltdarstellungen, Obszönität, aber auch explizit so beunruhigende Sachen wie die Realität, sollte sie „umstritten“, „heikel“ oder „tragisch“ sein. Das ist gelinde gesagt schwierig.
Man kann nun kommen und sagen, tja, andere Plattform. Überhaupt, selber hosten. Außerdem, die öffentlich-rechtlichen. Andererseits finde ich es schon ein wenig verwegen, wenn auf jeder Aleppo-Bildberichterstattung von $beliebigezeitung problemlos ein Doubleclick-Werbeplatz draufgeklatscht werden kann und die Videostreamer eben mal aus den Programmen gekickt werden, weil fick dich. Im Übrigen scheinen ohnehin die „etablierten“ Newschannel die besagten Probleme nicht zu haben.
Ich mach selber praktisch keine YouTube-Ads, ich kann die Qualen eines Onlinewerbers schlecht einschätzen, der seine lebensbejahende Markenbotschaft vor der Bullying-Mülltonnenaction einer Gruppe minderjähriger Arschlöcher platziert sieht. Allein, ich zweifle, dass das generell fehlende Vorhandensein von Werbepartnern für The Witcher 3-Clips ein Problem ist, auch wenn da Geralt abwechselnd Leute schnetzelt, Zeuge großer Tragik und menschlichen Leids wird und anschließend die feschen Dirnen beglückt. Ich halte weiterhin viele wohl „nicht werbefreundlichen“ Youtube-Inhalte für weniger gesellschaftszersetzend wie einen beliebigen Clip von Dagi Bee, aber hey, wer bin ich schon.
Noch beunruhigender: es kommen bereits die ersten Probnleme in *sehr* ernstzunehmenden Kontexten.
Danger of automated content removal:YouTube took down my video of the anti-torture debate in the European Parliament! pic.twitter.com/ZwhPxlkvXk
— Marietje Schaake (@MarietjeSchaake) October 5, 2016
Ups.
Sieht das jemand ähnlich, bin ich der einzige aus der Branche, der… haha. wie immer ist die Antwort auf die „Bin ich der Einzige..“-Frage selbstverständlich nein. Auf Broadmark fand ich einen Gedankengang, der meinem diesbezüglich durchaus zu ähneln scheint und sich insbesondere seriöser und gewählter ausdrückt. Dort wird der Hoffnung Ausdruck verliehen, dass es eben Algo-Startholperer sind und irgendwann die „okayen“ Geschichten nicht mehr automatisch geflaggt werden.
Mir ist dennoch nicht wirklich wohl dabei, und auch wenn ich glaube, dass viel „alternatives“ schlicht nicht auf sowas wie YT-Monetarisierung setzt, weil man mit den entsprechenden Themen/Inhalten eh nichts nennenswertes einnimmt oder das Monetarisierungskonzept ohnehin diesbezüglich ablehnt. Ich bin auch zu wenig in der ganzen YouTube-Hatemachine-Thematik drin (ein paar Beschimpfungen wegen einem LGBT-Video aus Istanbul zählen wahrschienlich nicht zum Mitredenkönnen), um da ein „Greater Good“ wo auch immer verorten zu können. Ich denk nur einmal mehr, auch das ist so ein Bereich, in dem die Werbebranche durchaus auch ein wenig mehr reingucken und sowas wie Haltung/Standpunkte entwickeln könnte. Bevorzugt welche mit einem zugrundeliegenden Menschenbild, das neben „Konsum“ und „Arbeit“ noch die eine oder andere Facette mehr hat.
Gegenteil von Nische: Aufmerksam machen auf @gronkh . https://t.co/9QzBoW4iJD
Halloooo es geht um Werbung ;)
So nachvollziehbar die Kritik an den Richtlinien auch ist in meiner utopischen Traumwelt gibt es keine omnipräsente Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche mit dem ganzen Werbemüll. Auf dem Weg dahin ist die Werbung nicht mal ein Nebenwiderspruch
Mir gehts nicht um eine Durchdringung oder einme wie auch immer gweartete freiheit, alles mit Werbung zukleistern zu dürfen. Mir gehts um das *Einräumen der Möglichkeit“ auf einer einigermaßen gleichberechtigten Basis. Da scheinen wieder die big Player ihren Kuchen aufzuteilen, und alles, was daneben runterfällt, hat halt verloren.
Ganz platt und mit „Mich betriffts nicht“ vornedran: wenn ich nebenan auf der Palettenseite meinen Fuffi oder auch mehr im Monat mache, dann ist das bei mir keine größere Sache (ab davon, dass der Server 60 kostet) und *trotzdem* hab ich gemerkt, dass es einem so einfach leichter fällt zu sagen, kauf dir das ordentliche Gerät, bau noch was“. Genau das gibts in zahlreichen anderen, und ich vermute, weniger „werbefreundlichen“ Bereichen auch, und ich schätze, da springen viele rum, die nicht wie ich bei nem Fuffi hin oder her eben Scheiß drauf sagen. Über sowas wie Gronkh mag ich gar nicht reden, da wirds offensichtlich und ich empfinde seinen Beitrag zur Populärkultur im Vergleich zu vielem anderen als höchst prima und durchaus wichtig. Und da gehts nicht um „maximale Werbedurchdringung“, sondern schlicht ums Ermöglichen von Kultur-, Ausdrucks- und Öffentlichkeitsformen.
Hmtja, ich sehe da zwei unterschiedliche Problemkomplexe. Erstmal die Monetarisierung – da hege ich wenig Mitleid mit den Produzenten, die jetzt fehlende Werbeeinnahmen bejammern. Hey, wenn man seine Inhalte irgendwo nicht nur kostenlos hosten darf, sondern auch noch die Möglichkeit geboten bekommt diese zu Geld zu machen, dann ist das doch knorke. Wenn sich die Nutzungsbedingungen irgendwann ändern und für die Produzenten verschlechtern ist das andererseits natürlich Moppelkacke und verursacht Arbeit, man muss ja jetzt seine Inhalte woanders hin umziehen. Aber wenn man mit der kreativen Tätigkeit Nutten und Koks finanzieren will, oder wie Gronkh vielleicht sogar schon kann, tscha… dann muss man wohl entweder die Flöhe im Pelz akzeptieren oder selber hosten.
Was die Community-Richtlinien betrifft, das ist wieder ein anderes Problem und da schließe ich mich der Kritik an. Wenn ich vor der Kamera darüber reden will wie ich mir nen Liter Haschischöl in den Hodensack injiziere und danach plötzlich alles schön ist, dann sollte ich das tun dürfen. Ich kann auch damit leben wenn youtube sagt: hömma, dein Hobby in Ehren, aber Anzeigen können wir bei sowas nicht schalten. Mir das aber nur zu erlauben wenn ich eben nicht davon rede wie schön das ist, sondern dass Drogen doof sind… och nö.
Na, und die Schwammigkeit tut dann noch das ihre dazu. Was sind denn schon umstrittene Themen. Die Themen jedenfalls bei denen ich Diskussionsbedarf habe, da krieg ich oft den Eindruck für die Gegenseite ist da gar nichts umstritten. Das ist so, das muss so sein und basta.
tl;dr
Ja, youtube ist n ziemlicher Otto geworden. Also entweder schluckt man die Kröte für die Kröten, oder man hostet woanders – am Besten selbst.
Nu ja, zwei Seiten der Medaille: YT rockt halt deswegen, weil ne ganze Latte Leute da ne ganze Latte Kram reingehauen hat, und nach Jahren des „Ist OK, wir schauern sogar, dass ihr das zumindest nebenberuflich machen könnt“ da eben die Seile zu kappen, hat schon was von „Den ersten kriegst umsonst“. Klassisches Lock-In. Und ich seh da schon einen Unterschied, ob man dann den „legitimen“ Contenterstellern ein Fick dich an den Koopf klatscht, während man die Algos aus der beta kriegt, oder ob man denen nach Jahren des Nutzen-rausziehens so viel Wertschätzung entgegenbringt, dass man die Algos eben erst dann scharfschaltet, wenn man einigermaßen sicher ist, dass sie zwischen Geralts Schwertkampf und einer Haschöl-Hodensackinjektion unterscheiden können.
Unabhängig davon: Angesichts der gelegentlich auflodernden Filterbubble-Hysterie halter ich es für durchaus gesellschaftlich relevant, welche „Normalitäten“ auf den marktbeherrschenden/reichweitenstärksten Plattformen eben durchgesetzt werden. Es geht mir weniger um das „Man muss aber auch mit dem Bully-Mülltonnenvideo Asche machen können!!!1!“, mitnichten/im gegenteil. Mir gehts drum, dass Akteuren und Konsumenten klar ist, welche Mechanismen sich darauf auswirken, welche Inhalte sichtbar werden und welche nicht. Und wenn eine EUparlaments-Folterdebatte wegen Tragik und beunruhigender Wirkung eben von der größten Videoplattform des Planeten fliegt, scheint mir angemessen, diese Mechanismen und ihre Folgen zu überdenken.