Ein paar Monate ists schon her, dass ich den neulichen Depressions-Rollback konstatierte: es wird mal wieder schick, die medikamentöse Therapie zu verdammen und die Leute in den Wald zu schicken, wo sie sich zusammenreißen sollten. Die belastbaren Fakten, die solche Statements an sich hinterfüttern sollten, fehlen durchweg, im Gegenteil sind die Überplacebowirkungen von ADs bestens belegt, haben wir bei steigender medikamentöser Therapie eine knapp halbierte Suizidrate in .de über die letzten 30 Jahre, trotzdem wird fleißig pauschalverdammt, was Millionen von Leuten hilft zu überleben, und meine These ist ja, dass das immer dann passiert, wenn sich zu lange keine Promis umbringen. Nun also der Deutschlandfunk, der das Spielchen von der äüßerst dünnen Basis, auf der man hoch hinauf die Clickbaits türmt, in neue, äußerst trübe Untiefen treibt.
Wir haben eine, eine! Patientengeschichte, bei der es um einen austherapierten Psychotiker geht. Wir haben die sonst auch immer gern genommene, „sensationelle“ Kirsch-Studie, der die zweifellos und insbesondere bei schweren Depressionen deutlich vorhandene Überplacebo-Wirkung von ADs offenbar nicht gut genug ist, um Patienten damit zu helfen. Wir haben ein geradezu bösartiges Zusammenschmeißen von „Psychopharmaka“, die generell in Frage gestellt werden, obwohl es in dreiviertel des Textes um *einen* Fall, und zwar eine Psychose geht.
Es mag lobenswert sein, den Dialog mit „Pharmakritikern“ zu suchen. Wenn das Ergebnis ist, dass an sich der Wahrhaftigkeit verpflichtete Medien die sprichwörtliche Einuntersuchungseinheiten-Stichprobe als Parodie der Ausgewogenheit ausbreiten, x-mal die Wirksamkeit von Psychopharmaka generell in Frage stellen, sie in verschiedenster Ausprägung als Teaser und Clickbait raushauen, um gelegentlich im letzten Textdrittel mal durchscheinen zu lassen, dass sie durchaus helfen und selbst ihr Vorzeigepsychotiker nach wie vor seine Medikamente nimmt, dann will ich mich zusammennehmen, sachlich bleiben, einatmen, ausatmen, und dann krieg ich das Knochenkotzen. Um die gröbst verzerrende Darstellung auch noch schön unters Volk zu kriegen, retweetet man sich noch fleißig. Und schwups, hängt man an den frontenüberwindenden Dialog mit den „Pharmakritikern“, mit denen man ja zumindest gelegentlich wenigstens „reden sollte“, die schöne Folge von Statements zu den, DEN Psychopharmaka: „Wirken sie überhaupt?“ „..häufen sich die Hinweise, dass sie noch nicht einmal wirken“ bis zum finalen „…schlimmer als die Krankheit selbst“.
Ich weiss nicht, ob man da den Dialog suchen soll. Man sollte diese Leute daran hindern, je in in irgendeiner Form verantwortliche Positionen in Sachen Medizin, Psychiatrie und Wissenschaftsjournalismus innezuhaben, bis sie gelernt haben, wie man mit Fakten, Studien und Statistik umgeht. Das lernt man an der Uni, wirklich. Aber kurz und knapp: wir haben einen Text, der sich auf einen austherapierten Psychotiker beruft, der nach wie vor mit Medis besser lebt als ohne. Wir haben Studien, die die Wirksamkeit von AD zweifelsfrei belegen. Wir haben offenbar zu wenig pharmakologische Forschung, die bessere Wirkstoffe und besseres Verständnis vom Zusammenhang zwischen Hirnstoffwechsel und psychischer Krankheit herstellen könnte.
Auf dieser Basis bastelt sich der DF ein „Psychopharmaka sind schlimmer als die Krankheit selbst“. Scheiß auf die Schizos und Deprideppen, wer den Strick nimmt, fällt ja eh aus der Verordnungsstatistik. Und einmal mehr: an sich will ich da ja ebenso wie bei anderen Formen der vermeidbaren Dummheit meine Standardposition dahingehend einnehmen, dass ich mich mit solchen Leuten und ihren Ansichten in der Regel nur noch dann ernsthaft direkt auseinandersetze, wenn ich dafür bezahlt werde, ich bin weder Ehrenamts-Nahhilfelehrer noch verhinderter Sozialpsychologe. Aber irgendwie raff ich mich trotz der permanenten Verzweiflung ob der Hoffnungslosigkeit dieser Unterfangen doch immer wieder auf. Ich verstehs nicht, wahrscheinlich liegts an den ADs.
Oder Du hast was im „Blut“ …