Spontankauf auf dem Flughafen: besagter Titel, und nachdem ich jetzt schon durch bin, spricht das fürs Buch. Zugegeben, ich bin ein Fan, aber ich meine, mit vertretbaren Gründen. Sollte man es lesen, wenn man das „Lied von Eis und Feuer“ mag? Um einem unvermeidlich folgenden Tolkien-Vergleich vorzugreifen: Die Bedenken spielen nicht in der Liga von „Wer den Herrn der Ringe mochte, wird mit dem Silmarillion nicht zwangsläufig glücklich“, aber in schwächerer Form gehts in die Richtung. Die Westeros-Bücher sind spannend erzählte Romane, die Serie eine teils deutlich gedrängte, aber unbestreitbar detailreiche und charakterstarke Version, aber „Feuer und Blut“ ist ein Stück weit eben „Geschichtswerk“, in dem Charaktere und Geschichten naturgemäß deutlich knapper umrissen sind. Während die bisher erschienenen Bände eine Handvoll Jahre umspannen und dafür viele Bäume sterben mussten, bringt Feuer und Blut zwar knappe 900 Seiten mit, frühstückt damit aber eben mal ca. 150 Jahre ab. Es hat mir gefallen (das in den nächsten Absätzen etwas ausführlicher) und es macht mich ein wenig generell nachdenken bezüglich Martins Westeros-Geschichte und wie ich sie wahrnehme, dazu dann später.
Erzähler ist ein Erzmaester, der die Geschichte des Hauses Targaryen von (vor) der Landung in Westeros bis zum letzendlichen Fall des Hauses vor der Zeit der Serie erzählt. Martin tritt als „Übersetzer“ in Erscheinung, eine charmante Idee, die mich, hihi, an die Hassliebe zwischen Walter Moers und Hildegunst von Mythenmetz erinnert, aber ich sollte nicht im zweiten Absatz bereits abschweifen. Ich musste mich an den Stil gewöhnen, aber gebe gern zu: Martin macht das wirklich gut. Die Quellen des Erzählers werden regelmäßig genannt – meist Maester oder Septone, aber auch die typischen „unzuverlässigeren“ Chronisten. Deren Versionen der Geschichte werden benannt und bewertet, unser Erzmaester lässt seine Favoriten in Sachen Aufrichtigkeit und Zuverlässigkeit deutlich erkennen und windet sich gelegentlich, wenn eine dem Glauben und der Weisheit eher weniger zugeneigte Quelle dann doch gelegentlich die plausibleren Erklärungen und Hintergründe bietet, und was dann gar zu unplausibel wird, bekommt trotzdem die eine oder andere Fußnote. Man kennt das Erzählmittel, für meinen Geschmack setzt Martin es gekonnt ein, und zu guter Letzt ist es eben nicht nur ein Erzählmittel, sondern eröffnet einfach noch mal eine weitere Ebene und Tiefe der Geschichten: man kriegt eben auch mit, was man sich zwanzig Jahre später in den Kneipen und Bordellen erzählt hat, welche Gerüchte, Zuschreibungen, Ausschmückungen und Übertreibungen entstanden, und unabhängig vom „Wahrheitsgehalt“ gibt es einfach noch mal einen ganz anderen Eindruck von der Gesellschaft, in der sich die Ereignisse zutrugen.
Die Geschichte selbst: ich werd sie nochmal lesen müssen, denn erwartbar wird man von der Zahl der Akteure und ihrer Namen teils schlicht erschlagen. Das kann bei der Menge erzählter Zeit und eben dieser Zahl der Beteiligten nicht ausbleiben und spricht meiner Ansicht nach eher für das Buch, aber Geschmäcker, Verschiedenheit und so. Man ist eben nicht mit verschiedenen Akteuren lange Zeit unterwegs, selbst die Zeit des „Alten Königs“ Jaehaerys sind eben nur knapp 50 Jahre und somit allenfalls ein Drittel des Buchs. Das, und die Erzählung durch einen Chronisten aus zweiter Hand bringt einem die Personen natürlich nie so nah, wie es beim „großen Epos“ der Fall ist, aber auch hier muss ich wieder loben: trotzdem bekommen die Personen viel Farbe und Charakter, und sind von vielen eben die einen oder anderen großartigen, dramatischen, sprichwörtlichen oder anders bemerkenswerten Sätze natürlich überliefert, die sie bei verschiedenen Anlässen, Wendepunkten etc. eben fallenließen, und bei vielen davon hat man nicht nur selbst seine helle Freude, sondern merkt, die Chronisten hatten die auch.
Ansonsten wissen wir von Martin, dass er die großen Bögen schlagen kann und das tut er auch. Bleibt man gespannt, will man weiterlesen, auch wenn es nicht eine Arya oder ein Tyrion ist, von dem man wissen will, wie sie sich weiter durchschlagen? Selbst wenn es um Akteure geht, von denen schon grundsätzlich klar ist, dass sie alle tot sind, wenn man das Buch fertig hat? Zum einen: ja, und zum anderen hatte ich da beim Lesen oft das Gefühl, man identifiziert sich teils eher mit „dem Land“, den Menschen, denen man eben wünscht, in friedlichere Gefilde zu kommen. Das bringt mich zum nächsten (und mir wichtigsten) Aspekt.
Die Gesellschaft ist eine mittelalterliche, wie man sie kennt, und die Götter halten sich verglichen mit manchen Erstaunlichkeiten im Lied von Eis und Feuer raus, Hexerei usw. gibts praktisch nur als Gerücht, immerhin, wir haben Drachen. Die sind aber letzten Endes in erster Linie Waffen, und so befinden wir uns in einer Welt, die mitnichten besonders magisch, fantastisch oder sonstwas ist, sondern vor allem hart. Und auch wenn es alles andere als sparsam mit Mord, Verrat, Intrigen, Gift und allem anderen zugeht, was Menschen einander so antun können, so ist mein stärkster Eindruck trotzdem der eines harten Lebens, vor dessen Hintergrund sich alles abspielt. Da brechen Seuchen und die Winter ein, da sterben die Frauen im Kindbett und wenn nicht, dann erreichen von dem Dutzend Lebendgeburten eben nur drei das Erwachsenenalter. Die Leute sind mit vierzig, fünfzig Jahren schon erstaunlich alt und meistens tot. Blutige Schlachten werden geschlagen, Massaker angerichtet, aber gestorben wird auch viel beiläufig – da trank der eine schlechtes Wasser und starb zwei Tage drauf, da war der hoffnungsvolle Feldherr auf dem Weg zu den ersten Sporen und kriegte einen Blinddarmdurchbruch, da zieht ein Heerführer los, sein Nachfolger in die Schlacht und der Dritte bringt den gebrochenen Haufen nach Hause, und keiner von ihnen fiel im Kampf. Das hinterlässt bei mir eigentlich den stärksten Eindruck dahingehend, was eine solche Zeit bedeutet, und das rechne ich Martin hoch an: das rüberzukriegen, nicht mal groß aufdramatisiert, sondern eben in dem lakonisch-berichtenden Ton seiner Quellen, bei denen das halt „so ist“ und das ganz normale Leben (und Sterben) abseits dessen, was die verschiedenen Fürsten mit ihren Heeren und Drachen so anrichten. Dass sein Westeros in keinster Weise ein irgendwie romantisiertes Mittelalter ist, in dem abgesehen von Krieg, Schlacht und Zauberei die Welt in Ordnung ist, und wenns nur deswegen so scheint, weil man eben nichts anderslautendes liest, schließlich interessierts ja auch nicht und lenkt von der Handlung ab. Statt eines eben irgendwie notwendigen Hintergrundes sind die „Rahmenumständen einer mittelalterlichen Ständegesellschaft“ mit ihrer hohen Sterblichkeit Teil der Geschichte und der Motive der Akteure. Man versteht die Dringlichkeit eines noch unbedingt zu zeugenden und überlebenden Thronfolgers besser, wenn man vor Augen hat, dass auch in den Adelshäusern die Hälfte der Babys sterben und auch die Mütter gelegentlich dabei mitnehmen, und wenn man weiss, dass ihr Fehlen eben mal zu Krieg, Schlacht und Elend führen, auch wenns niemand so richtig will. Ich komm auf Romantisierungen ohnehin extrem schlecht klar und das vermeidet Martin oft sehr explizit, wenn seine Chronisten – und seis der Vollständigkeit halber – auch die zynischeren und hässlicheren Geschichtsdeutungen erwähnen, und sei es aus Chronistenpflicht und nachgetragenem „scheint unwahrscheinlich“; aber auch implizit, wenn der Hintergrund eindringlich und konsistent die Rahmenumstände des damaligen Lebens zum Thema und oft genug zum entscheidenden Faktor macht, wie sich die Geschichte entwickelt.
Weiter gibt es natürlich verkommene Subjekte zuhauf und natürlich auch durchaus Sympathieträger, aber Martin fällt kaum in simple Gut/Böse-Schemata. Weiter ist es oft genug nicht einmal Ambivalenz, sondern sind es jeweils vollkommen nachvollziehbare Gründe, legitime Befürchtungen, die die Antagonisten in ihre oft genug sehr fatalen Konflikte stürzen. Und auch ein Maegor der Grausame ist weniger halt „böse und ein Arschloch“, sondern ein Typus, der eben vorkommt wie andere auch und mit dem sich sein Umfeld zu arrangieren (und den es zu überstehen) versucht, wie es eben möglich ist. Auch hier kommt die Erzählweise der Sache entgegen: mehr als einmal wird vom erzählenden Maester angemerkt, dass genau diese Entscheidung aus heutiger Perspektive eben fatal war, man damals aber eben X noch nicht wusste, dass man befürchtete, dass Y passiert usw. Die Teuerste weist mich grade darauf hin, dass sich diese Tragik, diese Unabsehbarkeit der Folgen auch bestgemeinter oder alternativlos scheinender Entscheidungen auch in Buch und Serie im Kleinen wie im Großen zeigt und insbesondere die Kinder des Waldes mit der Erschaffung der Weißen Wanderer als Reaktion auf den Einfall der Menschen nach Westeros ein Beispiel für einen der *ganz* großen Bögen dieser Art sind.
Große Bögen sind das eine, Martin erzählt seine Geschichte aber eben auch im Kleinen und alltäglichen auf eine Weise, dass es einen anrührt und mitnimmt, ohne je aufgesetzt zu sein, allenfalls gelegentlich so zynisch und hässlich und gleichgültig wie eben das Leben. Wenns noch nicht rüber kam: das ist der Aspekt am Buch und auch generell am mir bekannten Werk Martins, für das ich ihn hochschätze.
Das bringt mich zum ersten Punkt des unvermeidlichen Tolkienvergleichs. Es gab so eine Zeit, in der jeder Vollidiot mit Logorrhoe, der „Fantasy“ buchstabieren konnte, mit Tolkien verglichen wurde, und spätestens nach Verbrechen an der Lebenszeit anderer wie einem Shanarra-Zyklus hätte jedem, der den Vergleich zieht, die Hand abfaulen müssen, aber geschenkt, natürlich steht „Tolkien“ auch im einen oder anderen Martin-Klappentext. Dort mag ich es sogar gelten lassen im Sinne von „Es lohnt, über Ähnlichkeiten und Unterschiede nachzudenken“. Die Intentionen waren ja vollkommen andere – Tolkien wollte einen Mythos schaffen, das ganze angelehnt und vor dem Hintergund diverser irdischer Mythen und seines eigenen Katholizismus (ich gebe zu, ich verkürze sehr und bin mir dessen bewusst). Der Punkt, auf den ich raus will: die Geschichten sind als Mythologie (und entsprechend idealisierend) angelegt zum einen und darin angelegt ist grundsätzlich die Reinheit und Erhabenheit des Schöpfungs- und Göttermythos von Mittelerde. Entsprechend agieren seine Helden vom ersten bis zum dritten Zeitalter vor dem Hintergrund dieser göttlichen Reinheit, dem Glanz Valinors, der Herrlichkeit Illuvatars usw. und der Beschädigung der Welt, die sich begonnen mit Melkors Auflehnung über die Hybris Feanors und seiner Söhne, dem Fall von Numenor usw. durch neuntausend Jahre Geschichte zieht. Ich werde den Teufel tun und Tolkien das vorwerfen, auch wenn ich nicht leugnen mag, dass es der Aspekt seines Werks ist, das es mir mit der Zeit schwerer gemacht hat, ein simples „Ich finds großartig“ drunterzusetzen. Demgegenüber ist die Welt von Westeros eben zwar mit einer ganzen Latte Götter gesegnet bzw. gestraft, aber die sind allenfalls Beiwerk und Motivlieferant eines ansonsten zutiefst menschlichen Handelns in einer Welt, die alles mögliche ist, aber kein Abglanz göttlicher Herrlichkeit, und die auch in keiner Weise auf einem wie auch immer gearteten Weg dorthin ist. Wo alles in Mittelerde mythische Erhabenheit atmet, ist Westeros eben ein Dreckloch.
Ich halte es für sinnfrei, hier ein „besser“ oder „schlechter“ zu verteilen, das wäre eben der Vergleich, den ich wie gesagt eher schwachsinnig finde, ich denke, es reicht vollkommen, die jeweils vollkommen unterschiedlichen Intentionen und Weltbilder hier nebeneinander stehen zu lassen und zu konstatieren, dass aus beiden großartige Geschichten entstehen können, naturgemäß vollkommen unterschiedliche.
Der zweite Punkt, wo ich die Vergleicherei zumindest mal andenken mag: Was passiert mit einem Mythos/einer Geschichte, wenn man die Vorgeschichte ausarbeitet? Was passiert mit dem weiten erzählerischen Horizont einer Geschichte, der ihr Tiefe und Hintergrund gibt, wenn er zu Nähe und Umgebung, von Andeutung und Anklang zu einer eigenen erzählten Geschichte wird? Der Gedanke kam mir beim „Heckenritter von Westeros“ noch nicht, weil der von der Erzählweise und in Sachen erzählte Zeit ja doch nah am „Lied von Eis und Feuer“ dran ist, aber mit „Feuer und Blut“ haben wir schon eine ziemliche Parallele zu HdR/Silmarillion bezüglich „epische Erzählung bekommt ein geschichtliches Fundament“. Hat es dem Herrn der Ringe geschadet, wenn man erfuhr, was nun genau in Gondolin passierte? Nein. Schadet es dem Lied von Eis und Feuer, wenn man nun erfährt, was Aegon der Eroberer in Westeros tat? Nein. In beiden Fällen mag ich ein „Im Gegenteil“ hinzufügen und feststellen, dass beide Autoren eben auch ihr Handwerk beherrschen. Es geht keine „Tiefe verloren“, mehr noch, man versteht vieles nochmal deutlich besser, Personen/Geschichten gewinnen an Charakter, weil man Hintergründe, Motive, „Lehren aus der Geschichte“ besser versteht.
Zum Schluss noch eine Geschmackssache: ich mag die Illustrationen nicht (und werd wahrscheinlich eher allein damit stehen, denn die sind handwerklich gut und bringen Charakter raus und erinnern verdächtig an die Serie). Genau die sind mir dabei nämlich wieder zu erhaben, idealisierend und wenig an die Rahmenumstände erinnernd, deren Darstellung ich vorher lang und breit gepriesen habe. Man kann sagen, klar, das ist eben auch wiederum historisch gebrochen und typischer Ausdruck der Überhöhung der Taten und Charakter eines legendären Herrscherhauses, hihi, „verlogene Staatskunst“, wie es bei Bernhard heißt, allein, so eine doppelt gebrochene Motivation nehm ich dem Künstler nicht ab. Whatever, damit steht und fällt gar nichts, und wenn der zweite Band kommt, werd ich ihn mir kaufen und wahrscheinlich viel zu schnell weglesen. Ich empfehle uneingeschränkt: Machts genauso. Aktuell nur Hardcover, eine schöne auffaltbare Ahnentafel im Schutzumschlag, 26 Ocken, die ich sehr sehr gern ausgegeben habe.
2 Responses to Feuer und Blut, von George R.R. Martin