Zwei Gründe sprechen dagegen, dass ich besagtes Buch nach dem Lesen begeistert weiterempfehle: die Empfehlung wäre leicht redundant, weil ich ohnehin dazu neige, alles, wo „Passig“ druntersteht, bedenkenlos zur Lektüre zu empfehlen. Weiter könnte ich als voreingenommen gelten, weil ich wie zu Bloggerzeiten selig auf ein „Ach, ein Reziexemplar würd mich auch freuen“ ein Reziexemplar kriegte und mich freute. Sonst fällt mir nichts ein und ich kann zum Positiven übergehen.
Das Handbuch für Zeitreisende ist einerseits genau das. Andererseits ist es eine Wundertüte der Wissenschafts- und Weltgeschichte, ein trotz allem Anekdotenhaften erstaunlich umfassender Abriß technischen und zivilisatorischen Fortschritts, eine (sehr) kurze Geschichte vom Leben, dem Universum und dem ganzen Rest sowie ein hübscher Schlenker zur Viele-Welten-Deutung der Quantentheorie und der generellen wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Einordnung des Phänomens Zeitreise.
„Leider auffallend: es kommen Frauen im Handbuch für Zeitreisende vor“, schrieb die Kaltmamsell nebenan, dazu noch einiges zum Inhalt und Charakter des Buches, was ich direkt unterschreiben will, und nachdem die Blogosphäre so bereits vorgelegt hat, kann ich auf zwei Aspekte des Buchs eingehen, die mir grade nachgehen und über die noch nicht rezensiert wurde.
Einleitungskapitel, Weltausstellungen, Neapel, DDR, Galilei und Noether – ich tat mich eingangs ein bisschen schwer mit dem Rundumschlag in Sachen Inhalten, Themen, Zeiten und Personen. Das Gefühl legte sich dann aber und ich wunderte mich, warum es sich legte, weil munter weitergesprungen wurde. Für mein subjektives Empfinden kam mit der Zeit ein weniger explizit genannter, aber durchscheinender Punkt dazu: die unglaubliche Redundanz und Vielfalt von Zeiten, Kulturen und „Normalitäten“. Natürlich kontrastiert man alles, was man über andere Zeiten, Gesellschaften und Epochen der Erdentwicklung liest, mehr oder weniger bewusst mit der persönlichen Gegenwart, und der gemeinsame Nenner, das jetzt Gegebene eben nicht als „das“ normale oder zumindest zivilisatorisch angemessene zu halten, war für mich irgendwann einer der großen Bögen, der da mehr oder weniger ausgesprochen alles Anekdotische umschloss. Es erinnerte nmich auch an den Effekt beim sehr gern gelesenen neuen Lexikon des Unwissens, wo ein ähnlicher Bogen über eine andere anektotisch wirkende Sammlung von Themen auftrat: dort merkt man irgendwann, das Verbindende der einzelnen „Informationsinseln“ ist der Leeraum dazwischen: die Grenzen des Nichtwissens, auf die wir in verschiedensten Kontexten stoßen. Im Lexikon für Zeitreisende scheint es mir die irrige Vorstellung der Jetztzeit als weitgehend unhinterfragte Normalität, als ein Status Quo, der trotz diagnostizierter Akzeleration und beklagter Unübersichtlichwerdung aller lebens- und Gesellschaftsbereiche statischer und selbstverständlicher in unseren Hinterköpfen steht, als er stehen sollte. Vieles ist noch viel viel beliebiger, als wir uns bewusst machen, und das sag ich als Soziologe.
Auf dem anderen Bogen, den ich durchscheinen sehe, stünde vielleicht „Rücksichtnahme und Menschlichkeit“ wenns dann nicht doch zu plakativ wäre. Tatsächlich ist das aber ein Aspekt, den ich in der Form sonst beispielsweise bei Max Goldt fühle (und dabei nicht allzu explizit auch lese): Egal, um was es sonst „eigentlich“ geht, es weht doch immer ein „Seid gut zueinander, und versucht zumindest, kein Arschloch zu sein“ über den Wassern. Im Fall des „Handbuchs…“ natürlich oft deutlich explizit ausformuliert – wie verhält man sich rücksichtsvoll und verantwortlich in anderen Zeiten und Gesellschaften, wie minimiert man Risiken nicht nur für sich, sondern für andere im Urlaubsziel, in der Herkunftszeit,. in Paralleluniversen und alternativen Zeitlinien usw., und was mir anfangs noch manchmal vorkam wie ein „Hmja, da wirds jetzt halt wieder auf den Buchtitel und das selbstgewählte Format ais Zeitreisehandbuch rekurriert, weils halt ein Zeitreisehandbuch ist“, das wurde mit der Zeit zu einem ähnlichen Thema im Hintergrund: „…ich muss mir ja keine Sorgen machen, wie sich mein Verhalten auf Personen in alternativen Zeitlinien auswirkt, aber hm, so generell sich ein wenig mehr Gedanken über die Auswirkungen eigener Handlungen auf andere, so verkehrt scheints nicht und Anlässe zum dafür mal Innehalten gibts irgendwie mehr, als man so gemeinhin denkt“ – ich bin sicher, die eine oder andere Zeitreisendenempfehlung lässt sich hervorragend auch in unsere (jetzt noch) zeitreisefreie Gegenwart übertragen.
Ansonsten halte ich mich a) nicht für übermäßig eingebildet und b) für sehr vielseitig interessiert, belesen und informiert, und das vorweggenommen: natürlich kenn ich eine ganze Latte der im Buch dargestellten Geschichten, Hintergründe etc, aber ich war überwiegend verblüfft ob der jeweils ganzen Geschichte oder aber spannender Details, die mir schlicht noch völlig unbekannt waren.
Soviel von meiner Seite, nur noch zwei Dinge: Das Buch gibts bei Rowohlt, und das Fehlen eines Kathrin Passig-Fanclubs prangerte ich bereits vor 13 Jahren an, wie ich beim Backlogchecken anlässlich dieses Reviews hier bemerkte. Auch hier kam mir die Kaltmamsell zuvor, seit 2016 wird eine solcher im Netz beurkundet, aber nachdem ich auf dem Bild nicht drauf bin scheint er mir zumindest grob unvollständig.
Falls nicht ausreichend explizit: Buch ist fein, einpacken, lesen.