Es ist schon ein wenig ein spezielles Thema und ich habe Verständnis, wenn viele denken, so what. Trotzdem halte ich die Ankündigung Googles, im kommenden Jahr den Quasistandard im Webtracking – Universal Analytics – abzuschalten und komplett den Wechsel zu GA4 zu erzwingen, für höchst bemerkenswert, grade auch über die Blase der Onlinemarketer hinaus. Es wechselt nämlich nicht einfach irgend ein Analysetool.
Google Analytics kam einen weiten Weg. Seitdem haben die Trackingtechniken und -Skripte mehrfach, nun, evolviert. Ich sollte Accounts in der Betreuung haben, wo ich problemlos acht, zehn Jahre in die Vergangenheit gehen kann und gucken, was damals auf der Seite so los war. Und ich bin sicher, viele andere Akteure auch. Die Skripte wechselten, der Tagmanager kam, viel Wasser lief den Neckar runter und Google Analytics hat gemessen und verglichen und die Daten gesammelt, und wir haben sie uns angesehen.
Jetzt kommt GA4 und einige Akteure aus meiner Branche kotzen. Überwiegend, weil GA4 vieles kann, aber vieles auch nicht so recht, nicht so, wie mans braucht, und einige fluchen vor allem, weil man jetzt ruckzuck was aus dem Boden stampfen muss. Denn „Bis einschließlich 30. Juni 2023“ ist zwar noch ne Weile hin. Wenn die Geschäftsführung aber sagt, „Wir wollen die Entwicklung im Jahresvergleich“, dann muss man sich beeilen, denn man wird den Juli 2023 nicht mehr ohne Weiteres mit dem Juli 2022 vergleichen können, weil man jeweils nur Daten aus unterschiedlichen Tools hat. Wer Jahr/Jahr irgendwohin reportet, muss sich beeilen.
Soweit, so nervig, meine Güte, man wirds überleben. Der eigentliche Knackpunkt ist aber, dass eben auch der Datenzugriff auf Universal Analytics irgendwann im Laufe von 2023 abgedreht werden soll. Und dann gehen *alle* historischen Daten verloren, die gemessen wurden. OK, man kann CSVs aggregierter Daten exportieren. Aber damit in „Big Data-Manier“ rumspielen ist, nun, nur begrenzt sinnvoll. Rohdaten zu exportieren sieht Google nicht vor (zur Ausnahme kommen wir gleich). Long Story Short: Google ordnet grade nicht nur ex cathedra einen Toolwechsel an, sondern nimmt jahrelangen Nutzern den Zugriff auf alle je gesammelten historischen Daten ihrer Properties.
Auch hier wieder: kann man natürlich sagen, kein Mitleid, wer den Kram nicht selbst erhebt und wegspeichert, besitzt ihn eben auch nicht. Geschenkt. Es ist nur erstaunlich, dass Google das alles einfach weghaut. Himmel, sie könnten den Nutzern ein Angebot machen, UA-Daten solange eben gegen eine geringe Gebühr in einem BigQuery-Warehouse weiterzuhosten, bis der Kunde der Ansicht ist, mehr zu analysieren gibts nicht. Sie könnten da a) Geld verdienen und b) Leute dabei glücklich machen. Sie tuns nicht. Warum?
Ich nehme an, weil der ganze Datenberg hochtoxisch und nicht mit sinnvollem Aufwand zu bereinigen ist. Und ich kann mich an keinen vergleichbaren Fall erinnern, zu dem eine derartig gigantische, prinzipiell wunderbar monetarisierbare Datenmenge einfach schwupps, dem Angebot entzogen wurde. Bedenkt, wir reden hier von ‚zig Jahren Trackingdaten aller! Seiten weltweit, die seit dem Start von Google Analytics gemessen wurden. Das ist irrsinnig viel. Und irgendwann im Jahr 2023 ists weg.
Witzige Details am Rande. Man *kann* UA-Rohdaten nach BigQuery exportieren. Wenn man ein GA360-Account hat, das Pi mal Daumen 120.000/Jahr kostet. Man muss dann aber besondere Maßnahmen treffen, wenn das erstellte Datenset in der EU gespeichert werden soll.
Man kann aber interessanterweise Rohdaten aus dem neuen GA4 in kostenloser Version direkt nach BQ exportieren und weiterverarbeiten. Holla! BQ-Export 120.000 Euro günstiger, das ist ein Wort. Man könnte meinen, Google ist sich recht sicher, beim neuen GA4 weniger toxische/datenschutzrechtlich bedenkliche Daten mitzumessen.
Eigentlich sollten ein paar Leute feiern. Ich hab nur das Gefühl, sie wissen gar nicht, was da grade passiert. Oder aber ich interpretiere hier was komplett falsch. Ich glaubs eigentlich nicht mal, aber wäre für Hinweise, Übersehenes etc. durchaus dankbar.
One Response to These zu GA4 und UA: Google ensorgt mittelfristig viel toxische Daten