cw: N-Words. Ich hatte Besuch aus Zürich und lernte eine Menge über einen mir weitgehend unbekannten Teilbereich der Musik und gesellschaftlichen Wechselwirkungen derselben, die nicht allzuklar auf der Hand liegen. Es gibt sehr wenig Musik für Klavierquartett im Sinne von „vier Klaviere“, und die, die es gibt, stammt unter anderem von Julius Eastman, Minimal-Music-Komponist aus den USA. Sehr kurz gefasst: durchaus erfolgreich in der New Yorker Musikszene, überwarf er sich irgendwann mit einigen Hauptprotagonisten, komponierte explizit politische Stücke und thematisierte Rassismus und Homophobie. Selber schwul und schwarz, landete er irgendwann mit Drogen- und Alkoholproblemen auf der Straße und starb 1990. Einige seiner Stücke für vier Klaviere hörte ich erstmals gestern nach einem Besuch von Philip vom Kukuruz-Quartett vorgestern. Man sollte sich ein wenig Zeit nehmen und den Regler eher mal etwas hochdrehen.
Min 0 Fugue No. 7
Min. 9.50 Evil Nigger
ich meine ab 32.30 Gay Guerilla
Ich steh jetzt moderner „klassischer“ Musik, oder wie man es nennen will, jetzt nicht wirklich nahe, aber in mir rührt das einiges an. Die Fugue weniger als die folgenden zwei Stücke, aber YMMV. Mir gefällt natürlich auch der Ansatz, dass vier Leute mit vier Klavieren auf Tour gehen und an allen möglichen Orten einen der breiten Hörerschaft doch eher unbekannten Künstler vorzustellen. Einen Eindruck gibts auch auf YT:
Das Event im Lenbach-Haus in München sei nun das Traumsetup (vier gleiche Flügel, klasse Equip, coole Location) gewesen und eine Nebenwirkung von Corona: es wurde alles gestreamt und entsprechend wurde die Aufnahme/Filmtechnik auch aufgerüstet. Und nun ist das alles schön und hochkulturell, das Kukuruz-Quartett spielte aber auch in allem möglichen anderen, wo sich vier Klaviere hinverfrachten ließen. Unter anderem auch im Züricher Jugendknast, und ich gebe was sinngemäßes nur leicht aus dem Zusammenhang wieder: natürlich sei ein Künstler mit einer Biografie wie Eastman da auch ganz anders anschlussfähig. Ich komm auch da drauf zurück.
Anlass des Besuchs war die Ruhrtriennale, und wir sprachen einiges über die moderne „Hochkultur“, oder wie man es auch immer nennen will zum einen. Wen sie wo erreicht (und vielleicht erreichen sollte) zum anderen, und vor allem, was ihr Zweck ist. Arg verkürzt: ein Problem ist der „preaching the converted“-Effekt, in dem ehrenwerte Anliegen mittels Kunst einem Publikum nahegebracht werden, das diese mehr oder weniger durchaus unterstützt. Für meinen Teil mag ich anführen, dass ich mir gern gelegentlich über Form, Ästhetik, Dekonstruktion derselben etc. den Kopf zerbreche, am Punkt ändert das nichts. Mein ganz spezifisches Problem ist in der Tat eher die Frage, wohin sich moderne Kunst, Musik, Darstellung, Gestaltung…. etc. eigentlich weiterentwickeln soll, weil platt gesagt, dekonstruiert haben wir weitgehend alles, was da ist.
Und um da jetzt einen etwas stramm gespannten Bogen vollends geschlagen zu kriegen: mir leuchtete es unmittelbar ein, dass die Kunst eines Eastman dann eben in einem Züricher Jugendknast stattfand. Und ich wage zu behaupten, dass sie da was bewegt und verbessert. Ein mehrfach marginalisierter Akteur in einer meist mehrfach privilegierten Umgebung, einerseits erfolgreich, andererseits dann vollkommen abgerutscht und durch alle Netze gefallen – ich glaube, am meisten bedrückt an der Biografie hatte mich nicht, dass er drogensüchtig und obdachlos wurde, sondern dass eine Kulturszene, die er mitgestaltet hatte, erst Monate später mitbekam, dass da wer tot ist zum einen und das künstlerische Vermächtnis wohl größtenteils weg.
Es wurde einiges gerettet, und besagtes Quartett ging unter anderem mit Eastman klassisch auf Bühnen, aber auch an verschiedensten anderen Orten auf Tour. Mit Südamerika hatte es coronabedingt nicht hingehauen, das war noch eines der „muss eigentlich unbedingt“-Ziele, denn ein schwuler schwarzer Künstler wie Eastman muss in Bolsonaro-Brasilien auf die Bühne, es geht gar nicht anders. An sich aber eben nicht nur da, denn – das war so der Gedanke, über den wir viel gesprochen hatten – das „Moderne“ oder eine wie auch immer geartete weitere Entwicklung moderner Musik mag natürlich im Erweitern von klanglichen und kompositorischen, meinetwegen auch den darstellenden Mitteln liegen, wobei ich da – wie eingangs bemerkt – vieles schon an „physikalischen Limits“ sehe. Man kann manches minimale nicht mehr weiter reduzieren, nicht noch mehr „geplantes“ aus aleatorischen Stücken rausnehmen, und das „was provoziert in welcher Darstellung noch weiter“-Spielchen kann man spielen, aber nun.
Das größere (und sinnvollere?) Entwicklungspotential könnte im Ort liegen, an dem Kunst stattfindet. Konkret: dass sie (wieder?) stärker aus den einschlägigen Locations der „Hochkultur“ rauskommt und vermehrt an Orten stattfindet, wo sie Menschen erreicht, die sie ansonsten eher nicht mitbekommen. Die es angeht, denen es neue Perspektiven schafft, bei denen es noch wehtut, die es nötig haben im Guten wie im Schlechten. Wo nicht die partizipieren, die das traditionell und privilegienbedingt schon immer tun. Und an deren Rezeption sich eine gut gemeint gekickte Message auch mal messen lassen muss.
Jetzt, wo ichs schreibe, denk ich an Brecht und dass der Gedanke natürlich mitnichten revolutionär neu ist. Aber das heißt ja nicht, dass es nicht nötig und wahrscheinlich fruchtbar wäre.