Vorweg: diese Überschrift ist irreführend. Die spannenden Schaufensterpuppenaspekte Istanbuls finden auf der Straße und nicht im Schaufenster statt. Ich muss außerdem vorsichtig sein mit den Schlüssen, die ich aus ethnografisch gedachten Beobachtungen in Istanbul ziehe, da bin ich schon derbe auf die Nase gefallen. Das mag daran liegen, dass ich in Istanbul immer zwischen den Stühlen sitze – zwischen tatsächlicher, vorsätzlich eingenommener oder fälschlicherweise nicht bedachter Perspektive des Fremden. Wenn man Umgebung unter der Perspektive des „Vertrautseins“ anguckt, ist sie oft langweilig und man bemerkt nicht, was sozialwissenschaftlich bedeutsam ist, daher versucht man, eine Perspektive der Fremdheit einzunehmen, in der man alles, was man sieht, betrachtet, als kenne man die kulturellen Hintergründe und Rahmenbedingungen nicht. (Was im Übrigen der Grund ist, warum sich Sozialwissenschaftler auf Partys praktisch nie langweilen müssen, weil sie im Zweifelsfall einfach in den Modus teilnehmender Beobachtung schalten können und dann alles auf einmal hoch spannend wird.)
Ich schweife ab, tschuldigung. Jedenfalls: Istanbul kommt mir in mancher Beziehung mit der Zeit vertraut vor, und grade deswegen macht man dann wohl gerne Fehler. Der schönste Patzer passierte mir, als ich eine kühne Theorie Istanbuls als quasi-spätpubertäre Stadt aufstellte, was ich aus dem Istanbuler Durchschnittsalter ableitete und womit ich die Befindlichkeit der Club- und Cafelage dort deuten wollte. Ich flog zehn Minuten nach einem längeren Vortrag schwer auf die praktische Nase, aber dazu ein andermal. Meine Betrachtungen über zwei Schaufensterpuppenbeobachtungen möchte ich daher mit einer gewissen professionellen Skepsis aufgefasst wissen.
Jedenfalls: eine meiner Beobachtungen war, dass die Zahl der „Bettler“ stark zurückgegangen ist. „Bettler“ in Anführungszeichen, weil „so“ gebettelt wird ja eh kaum, da werden dann eben Taschentücher für die Lira verkauft oder eine kostenpflichtige Gewichtsmessung angeboten. Aber grade diese Sachen – Leute, die irgendwas zu verkaufen versuchen, wo klar ist, es geht weniger um die Ware denn um den Vorwand für den Kunden, jemandem Geld geben zu können, der selbiges braucht, das ging zurück. Bzw., hat sich verlagert, aber ich denk, wenn das passiert, dann doch eben in den „besseren“ Vierteln wie eben Taksim, Harbiye oder natürlich Sultanahmet.
Ich bin nun nie auf die Idee gekommen, dass zu früheren, schlechteren Zeiten Kinder zum Betteln ausgebildet worden wären, aber das gabs zum einen schon bei Charles Dickens, und dann sah ich direkt neben unserem Hotel in Aksaray diese beiden Schaufensterpuppen.
Nun würde ich wirklich nicht annehmen wollen, dass die dazu gedacht sein konnten, Kinderanzüge zu verkaufen. Da fällt mir eben entweder eine dickenssche Tränendrüsengeschichte dazu ein, wo den Kindern eingeprügelt wurde, wie sie mitleidsheischend zu gucken haben. Alles andere haut irgendwie gar nicht hin. „Bitte kauft unsere Anzüge, sonst sägt uns der Kleiderhändler die Beine ab und zieht uns Spiderman-Fake-T-Shirts an!“ kann ich mir noch vorstellen, aber das passt trotzdem nicht und erwähne ich bloß, damit ich eine Schlußüberleitung zu schlechten Spiderman-Fakes hinbekommen kann. Zurück zum Betteln.
Das findet in Istanbul, wie gesagt, auf deutlich reduziertem Niveau statt. An der Polizei- und Militärpräsenz liegts auch nicht unbedingt, die erlebte ich schon um Größenordnungen massiver, auch wenn man dieser Tage wieder regelmäßig der Uniform plus MP begegnete.
Aber vielleicht haben die lieben Ordnungskräfte auch einfach in den letzten Monaten den unwillkommenen Armen diesbezüglich ein wenig aus der Nähe erklärt, dass sie das bleibenlassen sollen. Ich kann eigentlich nichts schlechtes über die Istanbuler Polizei sagen, aber irgendwie machte mich diese Anpreisung der Uniform plus der diversen Abzeichen ein wenig stutzig.
Klar, Kinder für den Polizeidienst begeistern. Geht doch nichts über ne Uniform. Aber dass man ihnen dann auch gleich die typische Kampfhaltung nahebringt? Neuer Kapitalistischer Realismus? Oder kindgerechtes Marketing? Womöglich eine Deeskalations- oder Imagestrategie, weil der Ruf eher in die Richtung geht, dass die örtliche Bulleritate was anderes als die Fäuste benutzt, wenns ans Disziplinieren geht? Ich weiß es nicht, aber das Bild hat mir gefallen. Ich bin sicher, es sagt was aus, auch wenn mir die Botschaft noch nicht so recht klar wurde.
Jedenfalls, das waren die interessanten Schaufensterpuppen, die mir in Istanbul begegneten. Dann geschah auch noch eine Begegnung mit einer Spiderman-Tasche, die ich vorhin schon andeutete und zu der ich jetzt überleite, und die ungefähr als schlechtester Fake durchgeht, den ich in Istanbul sehen durfte.
Weil dort ist man an sich sonst wenig erschrocken und macht nicht mit so Krimskrams rum wie Dulce und Gabannna oder anderen Pseudofalschschreibereien. Wobei, vielleicht ist ja auch die neue Unterwäschekollektion wirklich italienische Markenware gewesen und war eben nur der „Scarlet-Man“ ein echtes Fake. Es ist schlimm geworden heutzutage, man weiß nicht mal mehr, ob man echte Fälschungen kriegt oder ob einem nichtsahnend Markenware untergeschoben wird. An der Qualität merkt mans nicht. Es ist eine verkehrte Welt, ich prangere das an.
Damit muss ich nun aber schließen, es kommt noch was zu der Sitzecke voller Sitzsäcke und meiner Theorie Istanbuls als pubertärer Stadt, das Aussterben des Dolmus und die Geruchsveränderung aufgrund des Istanbuler Taxibestands. Die Woche irgendwann, weil morgen ist Pl0gbar in Bochum und da muss ich hin, und übermorgen weiß ich noch nicht, wie ich dazu komme.
One Response to Istanbul, deine Schaufensterpuppen!