So, es ist rum und es war fantastisch. Gleich zum ernsthaften, aber ich muss nochmal mit dem Schwein anfangen. Eine der Sachen, die ich am Camp so liebe, ist einfach die anders justierte Wahrnehmung von so ziemlich allem. Weil ich keine Schlauchzuleitung für das Schwein dabeihatte, bin ich zu Chaos West ins Küchenzelt gestiefelt und gefragt, ob es irgendwas schlauchartiges gäbe, wovon ich einen Meter haben könnte. Es entspann sich folgender Dialog:
– Ist das wichtig? Wofür brauchst du das denn?
– Nun , ich hab da dieses Gummischwein mit Leuchtaugen und da hab ich die Schnauze ausgehöhlt und außerdem hab ich diese Nebelmaschine, aber ich krieg den Nebel der Nebelmaschine nur mit einem Schlauch in die Gummischweinschnauze und hab keinen.
– Ah, alles klar, moment, ich gucke, ich bin sicher, wir hatten da was…
…usw., Schlauchstück wurde gefunden und übergeben.
Weitere ernste Dinge des Lebens: Digitalcourage enttäuschte wie erwartet weiter. Alvar Freude und Tobias Keber waren da und machten eine offene, unaufgezeichnete Sprechstunde zu Datenschutzfragen, damit eben auch mal bedenkliche und nicht öffentlichkeitstaugliche Situationen besprochen und ggf. gelöst werden konnten. Es ging dann leider viel um einschlägiges Aluhutgedöns a la „kann ich wen verklagen, der eine Überwachungskamera-Atrappe auf öffentlichen Raum richtet?“. Meine Frage war, wie es gehandhabt werden könne, wenn Leute einen Google-Tagmanager selber hosten und dann von außen praktisch nicht mehr nachvollziehbar die per first-party getrackten Daten an weitere externe Datensammler durchreichen. Was soll ich sagen, es ist einer fachlichen Unterhaltung eher abträglich, wenn eine Flachpfeife wie padeluun im Publikum sitzt und qualifizierte Statements der Form „Das ist aber verboten!“ absondert und meint, damit die Kiste zugemacht zu haben, aber wenn man aus der Ecke eh nichts qualifiziertes erwartet, lässt sich auch das wunderbar ertragen. Im Übrigen sind Alvar und Ulrich unglaublich kompetent und engagiert und haben eine geheime Superkraft dahingehend, in einem quasi unüberschaubaren Dickicht von Zu- und Nichtzuständigkeiten nicht nur zu erklären, wie was nun von wem gemacht werden muss, sondern auch, warum das so ist und welche Gründe, Zwänge und durchaus auch guten Ideen jeweils dahinterstehen. Und natürlich, warum manches schlicht eher träge bis scheiße läuft (looking at you, Irland).
Im Anschluss zum Talk dann der nächste DC-Idiot, der mir vor dem Zelt erklärte, dass Facebook und Google sogar anhand der Mobilfunknummern Werbung schalten könnten, zwinkerzwonker, alles ganz pöööhse und heimlich. Auf Nachfrage, wie das genau vonstattengehen solle, stellte sich raus, er meinte den Kontaktupload durch Werbekunden. FYI/wen es interessiert: man kann selbstredend Email-Adressen und Telefonnummern in ein Google Ads-Konto reinladen und versuchen, genau diese Leute über Ads zu erreichen. Falls, und nur falls G. die Nummern (Android) oder Mailadressen (G-Acc) kennt und die Leute diesbezüglich eingewilligt haben, darf Google Ads auf der Basis schalten. Selber darf ich die Nummern und Mailadressen natürlich ausschließlich nur dann reinladen, wenn ich die explizite Einwilligung habe. Da ist an diesen Stellen exakt gar nichts grau, illegal, whatever und ich rate allen davon ab, das eben mal unter der Hand zu versuchen, weil nach entsprechendem Auskunftsersuchen durch Betroffene steht man da schnell sehr blöde da.
Spannend wirds an der Stelle, wo Adressen und Einwilligungen in der Regel herkommen, denn die kann man recht easy an allen möglichen Ecken im Netz (legal) kaufen. Üblicherweise stammen sie aus Gratis-Gewinnspielaktionen, wo eine bestimmte Klientel bereitwillig alles reinwirft und allem zustimmt, was irgendwo im Kleingedruckten steht und „Scroll, click, agree“ dazu singt. Eingekaufte Einwilligungen vorhalten stell ich mir nervig vor, die erreichbare Zielgruppe halte ich für dumm und wenig kaufkräftig, weshalb mich das alles im Detail nicht weiter interessiert, aber nun, YMMV. Himmel. Wie gehabt, Digitalcourage ist ein Problem für alle Menschen, die sich einigermaßen fundiert mit der Datenschutzproblematik im Netz auseinandersetzen wollen oder müssen. Dass sie ein Vortragszelt auf dem Camp aufstellen, soll mir recht sein, für in vier Jahren würde ich halt beantragen, dass sie nach Aufbau fürderhin die Klappe halten, zuhören und lernen.
Back to Topic: Die Datenschutzbehörden können selbstredend a) Auskunft über faktisch stattfindendes Tracken und Datenweitergeben anfordern. Sie können b) auch vor Ort aufschlagen und sich alles zeigen und erklären lassen. Sie können gar, so geschehen bei einer nicht genauer benannten Krankenkasse, c) mit polizeilicher Amtshilfe unangemeldet aufschlagen und eine Hausdurchsuchung vornehmen.
Sie sind nun aber auch d), chronisch überlastet. Weswegen sie die dicken, klaren und groben Geschichten bevorzugt abarbeiten (was ich durchaus für richtig halte). Das bedeutet meiner unmaßgeblichen Ansicht e) aber auch, dass es eher schlecht aussieht, wenn wer kommt mit „Ich hab das Gefühl, dass von Seite X aus ein Tracker von Plattform Y gefüttert wurde, man sieht zwar im Netzwerktraffic nichts davon, aber es kam mir so vor, als ob ich da Werbung auf Seite Z gesehen hätte, nachdem ich letzte Woche auf Q gewesen bin, könnt ihr da mal mit Polizeischutz ins RZ rein und das Tagmanager-Setup überprüfen? Ich kann mich auch täuschen, aber komisch wars schon.“
Ich bin recht sicher, dass das „1st-Party-Tagmanager reicht serverseitig Daten ohne Consent an externe Tracker weiter“ (ironischerweise begünstigt durch die Datenschutz-Offensiven an allen Ecken) kommen wird bzw. bereits so praktiziert wird. Man kann sich über sowas bei einer Orga wie Digitalcourage leider nicht fachlich unterhalten, weil dort bereits die Kompetenz fehlt, die eigene Inkompetenz soweit korrekt einzuschätzen, um zum gegebenen Zeitpunkt die Fresse zu halten. Zurück zu den schönen Dingen des Lebens.
Die schönen Dinge eskalierten einmal mehr allerliebst. Die Bahnstrecke übers Camp wurde anfangs halt mit dem Besichtigungs-Tourzug befahren und es war Tag für Tag herrlich zu sehen, wie Ausbaustufe um Ausbaustufe zündete. Der obligatorische Bällebadwagen für die Kids, Chaospostwagen, die Bordgastronomie powered by WOC, am letzten Tag waren die Lautsprecherdurchsagen an den Haltepunkten aufs großartigste professionalisiert und wie ich hier schreibe, liegt neben mir ein Fahrgastrechte-Formular, welches sogar eine Option auf Beschwerde wegen fehlender Katzenohren am Personal bereithält.
Weiter natürlich die kleinen Details, Installationen, Gerätschaften und Projekte, die über die Tage entstehen. Ich glaube, über die folgende Eskalationskiste schreiben andere mehr und besser und wahrscheinlich muss man es sich eh ansehen, aber wo mit der „Hacken, dass…“ – Gameshow da mal die Latte für standesgemäße Hackerbespaßung hingeschossen wurde, hat durchaus schon stratosphärischen Beigeschmack. Freitag abend wurde da (mit angemessener Verspätung und entsprechendem Überziehen) eine Gameshow aus dem Boden gestampft, die mich immer noch ein wenig fassungslos zurücklässt. Saalwette: es sei nicht zu schaffen, noch während der Show ein funktionierendes Faxgerät mit funktionierender Festnetz-Faxnummer auf die Bühne zu kriegen und von extern ein Fax zu empfangen. Nach der ersten Wette – nur anhand der WAV-Sounddatei einer Wetterkarten-Faxübertragung aus dem Schiffsverkehr, plus vim und GIMP in fünf Minuten die Wetterkarte erzeugen (wurde gewonnen) – hieß es „Hier sind zwei Leute mit einem Fax und wollen auf die Bühne“. Es gab eine verdammte Außenwette, in der ein verdammtes Ethernetkabel mit einem Gabelstapler in vier Meter Höhe in eine Ethernet-Dose eingestöpselt werden wollte. Der PUPE erkannte seine Kabel blind nur durch Lecken/Tasten mit Mund und Zunge, und hey, „40poliges IDE-Flachbandkabel“, geschenkt, aber „40poliger IDE-Flachbandkabeladapter auf 5,25″ Floppy“, ich meine, was zum Fick, und vor allem, was hebt der Mann für Kabel auf? Es war großartig. Guckts euch selber an.
Nochmal mein Steckenpferd, das unkontrollierte Verbreiten dezentral gehosteter Medien-Sicherheitskopien. Dass 10G-Ethernet und nvme-Speicher im erschwinglichen TB-Bereich da ein bisschen den Möglichkeitsraum erweitern war das eine. Was mir beim FTP-Serverdurchgucken aber irgendwann im Lauf des Camps auffiel, und dann wirklich ganz erheblich auffiel, mich gar ein Stück weit verwirrte bis verstörte: es gab keinen Porn.
Es gab keinen Porn.
Versteht mich nicht falsch, trotz aller Affinität zum Themenfeld, ich muss jetzt keinen Pr0n vom Camp mit nach Hause nehmen, es hat mich nur verblüfft, als es mir auffiel, und je länger ich nachdenke, desto verblüffender wirds irgendwie. Für Kontext: es war (um gottes willen!) vor 14 Jahren auf der HAR, als ich erstmals mit Enno ein 3TB-Blech in die CoLo stellte. Wir schlossen vorher Wetten ab, wie hoch der Porn-Anteil bei den über die Camp-Laufzeit hochgeladenen Dateien ausfallen würde und tippten durchweg zu hoch: er lag schlussendlich bei etwas unter 50%, wenn ich mich recht entsinne. Das aber auch nur, weil sich zu der Zeit die DVD-Images durchsetzten und Filme statt CD-tauglicher 700MB auf einmal knapp oder gar über 4GB groß waren (wer sich erinnert und denkt, Oh gott ja, 4GB und FAT32, Glückwunsch, du bist alt!), die Pr0nclips aber noch nicht. Früher(tm) gabs dedizierte Pr0n-FTPs, verdammt nochmal.
Heute? Nun ja, die werte Besucherschaft ist deutlich diverser und vielfältiger. Ich vermute weiterhin, anteilig mehr Leute haben Sex auch mit anderen Menschen als früher. Weiter ist die allgemeine Verfügbarkeit von Pr0n…. ach, wobei. Nein, die war schon anno dunnemal bei der Zielgruppe hoch genug. Whatever. Allein schon wegen der gestiegenen Präsenz und Sichtbarkeit diversester Gruppen und Identitäten hätte ich, Rule34 entsprechend, eher mit einer analogen Diversifizierung der Pr0n-Präsenz gerechnet, aber nein, wir sind da irgendwann von 100 auf 0. Ich kanns mir nicht so recht erklären.
Trotz dieser brennenden offenen Fragen nun aber: gut wieder zuhause angekommen, interessante Farbtöne des Badewassers beobachtet. flow3r leuchtet am Schreibtisch. Noch keine Post-Camp-Depression, aber ich klopf auf Holz und die Pillendose. Wie immer 12/10, gerne wieder.
mega danke fuer deine post-camp23 beitraege, insbesondere diesen hier. ich muss dringend die „Hacken, dass…“-aufzeichnung in ruhe nachschauen, da hast du mich richtig jetzt neugierig gemacht. ich lese deine beitraege sooo gerne, denn du schaffst es einfach grossartig die wirklich positiven und faszinierenden aspekte angemessen herauszuheben. das schwein mit nebelmaschine finde ich eine grossartige sache… haette ich gerne in natura live und in farbe gesehen. fehlt eigentlich nur noch eine wackel-schwein-app fuer das flow3r-badge. =)
Es müsste eigentlich eine Dampfschweinapp werden. Idealerweise eine Winkekatzen-Funktionalität, bei der sich verschiedene Schweine in verschiedenen Farben andampfen können.
Mit dem Positiven, nun ja, ich bin auch einigermaßen glücklich, dass es damit hinhaut. Dabei denk ich öfter, hm, Verhaltenstherapie wirkt. Es ist schon auch ne Strategie, ich schreibv ja auch gelegentlich, dass das die Events sind, aus denen man Hoffnung für die nächste zeit schöpfen muss, und offenbar funktionierts für mich, dass ich mich da auch einigermaßen bewusst drum kümmere. Ich kann andererseits durchaus nachvollziehen, wenn grade das dann nicht funktioniert und im Gegenteil grade sowas absäuft, von dem man eigentlich dachte, es hilft wieder ne Weile über Wasser zu bleiben. Tendenziell aus anderen Kontexten, aber ja. Insofern, ich komm wieder drauf zurück: im Zweifel lieber nochmal hingehen :) Pass auf dich auf.