Warum zieht man eine Woche in die Wüste, stiefelt bzw. reitet Berge hoch und runter und guckt sich viel Steine und Sand an, ohne Netz, Strom und fließend Wasser? Für mich kann ich nach dieser und zwei früheren Touren sagen, es erdet mich ganz hervorragend, der Kopf macht irgendwelches Zeug im Hintergrund, währenddessen guckt man sich eine hochwertige Landschaft an und erlebt eine phänomenal angepasste Lebensweise.
Dafür sollten es aber halt auch ein paar Tage sein, weil sich irgendwann gegen Tag drei auf dem Kamel so dieser Effekt einstellt, von dem ich behaupte, man kommt ohne Tüte nicht näher ans Bekifftsein. Man schaukelt sich auf dem Kamel in einen leicht debilen Trott, guckt mit ganz kleinen Augen, weil die Umgebung unglaublich hell ist, alles was man sieht, ist ungeheuer faszinierend, es passiert alles ganz langsam und man bekommt irgendwann Hunger.
Abends schaut man nach ner ebenen, windgeschützten Stelle, baut sich sein Nachtlager und geht nach dem Abendessen schlafen. Morgens gibts Kaffee und zufällig vorbeikommende Kamele. Anschließend packt man alles wieder auf die Kamele und zieht weiter. Abends im Sinne von „bei Sonnenuntergang“ und morgens analog „bei Sonnenaufgang“, es ist vollkommen faszinierend, wie man trotz eines ansonsten hoch beharrlichen Schlaf-Wach-Rhythmus auf einmal spätestens um acht einschläft und wiederum um fünf aufwacht. Da wirds halt dunkel bzw. hell, und in der Regel ist man auf angenehme Weise kaputt und knackt weg, sobald man im Schlafsack liegt, es sei denn, ein furzendes Kamel liegt drei Meter weiter.
Wie früher aus ähnlichem Anlass angemerkt: ich bin ein verstockter historischer Materialist und falls sich Altersmilde bei mir anbahnt – in Bezug auf irgendwelche Spiritualität und Esoterik vermag ich keine bei mir zu diagnostizieren.
Ich vertrete aber durchaus vehement die Ansicht, dass man grade mit einem solchen Weltbild die Wüste sehr intensiv erleben kann. Es ist vollkommen atemberaubend, was eine vernünftige Physik zustandebekommt, wenn man sie mal eine Weile machen lässt. Man stiefelt durch ein ausgetrocknetes Wadi und denkt, Navier-Stokes bei der Arbeit, verdammt guter Job. Irgendwer wird mir erklären können, warum die Lichtverhältnisse in der Wüste so sind, wie sie sind, und bis dahin bin ich einfach so begeistert davon.
Außerdem: Milchstraße. Es ist dunkel in der Wüste, es sei denn, der Mond geht auf, dann ist es ungefähr so hell wie in den Siebzigerjahre-Westernfilmen, wo sie die Nachtaufnahmen am Tag gedreht haben und nur die Kamerablende zugedreht haben und man beim Gucken dachte, haha, so hell in der Nacht, vollkommen unrealistisch.
Jedenfalls, so reitet und stiefelt man Tag um Tag durch eine fantastische Landschaft, und der Kopf macht irgendwelchen Kram im Hintergrund. Nicht immer zielführend, aber ich bin zum Schluss gekommen, dass generative LLMs tatsächlich eine Ausgeburt der Hölle sind, die vom Angesicht der Erde getilgt werden müssen, ich grübelte ein wenig über Unterschiede und potentielle Synergien der Modelle zur Organisation des Weltwissens, wie sie jeweils von Google bzw. von Wikipedia gepflegt werden und wie sie von Bibliothekswesen und vom System wissenschaftlichen Publizierens beeinflusst sind, wovon die Fliegen hier leben, wenn wir nicht da sind und ob ich der Mensch bin, der ich sein will.
Das ist solange schön und tageserfüllend, bis jemand, im konkreten Fall meine Teuerste, von einem bockenden Kamel abgeworfen wurde und aus zwei Metern auf den Steinboden stürzte. Das war so ungefähr der Worst Case, denn wir waren auf dem Hochplateau auf ungefähr 1200 m und in einer Region, in die kein Auto kommt. Bis klar war, dass der Kopf heile, die Knochen und auch die eine schlimm zugerichtete Kniescheibe nicht gebrochen waren und alles nach viel Schmerzen, aber wahrscheinlich keinen Spätfolgen aussah, waren es einige wirklich furchtbare Minuten.
Enormes Glück auch, dass in unserer fünfköpfigen Gruppe ein pensionierter Notfallarzt und Anästhesist sowie eine ausgebildete Krankenpflegerin dabei waren. Trotzdem saßen wir mit einer nicht gehfähigen Person unter Schock auf einem Berg.
Wir teilten uns auf – ein paar Leute gingen vor zu einem potentiellen Lagerplatz, um da schon mal alles herzurichten und ein Zelt aufzuschlagen, und sechs Mann packten die Teuerste erst in Rettungsdecke und anschließend in einen Kamelteppich, in dem wir sie den Berg runter ins Lager brachten. Dort weitere Versorgung, und Planung einer Strecke, die uns schnell in anfahrbares Gebiet bringen würde.
Transport glückte, und schmerzmitteltechnisch stellte sich eine gute Versorgungslage heraus. Das war am nächsten Tag aber auch notwendig, denn der Abstieg ins anfahrbare Gebiet war nur zu Fuß möglich, und ohne wirklich gutes Zeug wärs wahrscheinlich eine irrsinnige Quälerei gewesen. So schafften wir es aber den Berg runter, schlugen erneut Lager auf, und dann folgte auch schon das „Nee, wir gucken erst morgen, ob ich reiten kann“. Ums abzukürzen: niemand brach die Tour ab, niemand wurde abgeholt und wir kamen alle zusammen am achten Tag wie ursprünglich geplant am Endpunkt an. Am zweiten Tag nach so einer Sache wieder auf ein Kamel zu steigen, ist alles andere als ohne, und Fußwege gab es auch nach wie vor, wenns zum Reiten zu steil und steinig war, es ging dann aber auch Tag für Tag wieder ein klein wenig besser.
Die Leichtigkeit, das „Geerdetsein“ bei den letzten Tourtagen war aber wenig überraschend weg. Stattdessen schon auch Freude, dass man weiterreisen konnte und was bisher schön war, wars ja auch immer noch, aber trotzdem: Schmerzen, Anspannung, alles nicht wirklich einfach. Auf der anderen Seite: ein ziemlich fantastisches Miteinander, Unterstützen, Helfen, das ist ja auch alles nicht per se all inclusive.
Was mich zu unserer Begleitung bringt. Wir waren fünf plus Cornelia, die die Orga machte, und vier Beduinen – Mohammed, Ouwed, Faradsch und Ajid. Alter um 24 bis um 84, und es war erstaunlich. Ajid hat man sein Alter durchaus angemerkt (himmel, wir sind acht Tage durch die Wüste gezogen), aber das war eine „Grundheiterkeit“, die will man sich eigentlich bewahren, auch wenn man ansonsten eher zur Fraktion „Zynismus und japanische Pornografie“ tendiert. Machte sein Ding, ließ sich helfen, wenn notwendig, und wenn nicht, dann nicht. Und dann immer zwischenrein ein paar Zeilen Irgendwas gesungen, es war erstaunlich. Stichwort helfen. Man ist ja selber in der Regel ausreichend mit dem eigenen Kram beschäftigt, weil alles doch ein wenig aufwändiger, langsamer, gelegentlich mühsamer ist und vor allem, weil man an sich immer irgendwas sucht.
Unsere vier Beduinen hatten das, und dazu morgends Feuer/Frühstück (immer mit frischgebackenem Fladen-oder gar Aschebrot), Kamele einsammeln (die laufen weit), alles packen, Kamele beladen, Aufsitzen, Vormittagsstrecke, dabei Holz sammeln, Mittagspause/Mittagessen, und so fort bis Abend/Schlafengehen, und allein, dass man einen Tee trinkt aus sauberen Tassen und kein Sand drin, ist bei gegebenen Wind- und Umgebungsbedingungen immer irgendwie ein mittleres Wunder. Wasser ist immer knapp (die Kamele müssen es ja mitschleppen) und entsprechend ressoucenschonend ist man damit unterwegs. Trotzdem war das gemeinsame Speisen regelmäßig einfach ziemlicher Hammer. Und man kann praktisch nie helfen, weil man dafür einfach zu ungeschickt und eh nur im Weg ist, aber grade das hilft auch sehr beim dann „einfach mal machen lassen, ist OK und muss so“.
Die Sprachbarriere war hoch, aber überwindbar, an einem der letzten Tage sangen wir uns noch ein paar jeweils bekannte Lieder aus den entsprechenden Kulturkreisen vor. Nachdem deutsches Liedgut immer ein wenig schwer ist, gab ich noch die Moritat von Paratii zum besten und hatte den Eindruck, es gefiel. Irgendwo im Sinai einigen Beduinen österreichische Subversions-Netzkunst vorzusingen hatte ich nicht auf meiner Bingokarte, aber irgendwie fühlte es sich schön und angemessen an.
Wie geplant kamen wir dann am achten Tag am Zielpunkt an und es gab einen sehr herzlichen Abschied. So.
Kleinkram zum Schluss. Was war anders als die vorigen Male? Im Sinai gibts Handyempfang. Nicht immer, aber oft, und manchmal gabs witzige Situationen, wenn sich wer auf einem Fels wunderlich verrenkte, bis klar war, da wird der Spot gesucht, wo der Empfang ist. Ohne ägyptische SIM betraf mich das alles nicht, ich machte Flugmodus bei Start an und bei Rückkehr aus und dann hält der iPhone-Akku wundersame vier, fünf Tage ohne Laden. Mitreisende waren anders unterwegs und es gab den einen und anderen Call mit der Verwandtschaft, ich bin sehr für elektronisch vermittelte Kommunikation, aber meins wärs nicht und ich hab den Eindruck, man zerschießt sich einen Haupteffekt der ganzen Kiste, bei der man halt mal wirklich und ausschließlich im Hier und jetzt und vor allem im Hier ist.
Situation in der Region:
der Sinai ist groß, wir waren im Süden, und was in Sachen Gazakonflikt passiert, ist allenfalls weit oben im Norden.Ich nahm eh von vornerein an, dass die Lage wahrscheinlich ruhiger und kontrollierter als vor vier, fünf Jahren war, denn damals wird noch einiges über Ägypten Richtung Gaza gegangen sein und aktuell wird da alles derbe abgeriegelt sein. Einmal sahen wir eine Drohne auf Süd->Nord-Kurs, Vermutung, dass da was Aufklärendes aus dem Roten Meer über ägyptisches Territorium ging, aber naturgemäß alles schwer spekulativ.
Elon Musk ist ein Arschloch und Satelliten-Megakonstellationen eine Pest. Dass Starlink den Nachthimmel zerstört und astronomische Beobachtungen sabotiert, wird schon länger diskutiert und meine Meinung kann man sich denken. Es ist nochmal was anderes, wenn man in der Wüste hochguckt und die Milchstraße betrachtet und tatsächlich zu keinem Zeitpunkt nicht mindestens zwei Satelliten durchziehen und oft genug vier oder fünf, und besser wirds ja nicht. Wie oben bemerkt, ich bin ein recht technikbegeisterter historischer Materialist, aber da empfinde ich ein sehr bedrückendes und irgendwie beängstigendes Gefühl von Verlust.
Nachtrag. Wie ich vor ein paar Tagen erfuhr, ist Dieter, unser Arzt und Ersthelfer, keinen Monat nach der Tour an einem Herzinfarkt verstorben. Ich kannte ihn nur von der Tour, da war er ein Mensch mit Ecken, Kanten und einem sehr großen Herzen, der mit viel Dankbarkeit unterwegs war. Ich hätte mir keine bessere Hilfe und Unterstützung wünschen können als die, die er geleistet hat, als die Dinge aus den Fugen gerieten. Meinen Dank dafür und für alles andere und herzliches Beileid seiner Frau. Möge ihm die Erde leicht sein.
Danke sehr interessant die Ausführungen!
Zum Satelliteninternet musste ich spontan an die Abwehrhaltung gegen Windräder denken – die Natur wird optisch „technisiert“. Es gibt einen funktionalen Mehrwert, wenn man selbst nicht partizipiert (oder es bewusst nicht möchte/verweigert) bleibt natürlich nur der Nachteil.
Hilft vielleicht die NIMBY Personen besser zu verstehen.
Ich seh den Punkt, ich tu mich aber mit der Vergleichbarkeit schwer. Windräder scheinen mir eine recht klare Sache, der Nutzen aller und insbesondere der angeblich dadurch „technisierten“ Natur liegt auf der Hand und wir haben die Wahl zwischen Wäldern und Windrädern oder keines von beiden mehr. Bei Starlink sehe ich da eine komplett andere Konstellation: nicht nur einer, sondern gleich mehrere Tech-Milliardäre kloppen ihre jeweils eigenen Megakonstellationen ins All, scheißen auf alle Bedenken, kommen hinterher mit einem „Ja, hätte man abdunkeln können, gucken wir mal, ob sich das irgendwann nachziehen lässt“, und Hintergrund ist nicht etwa the greater good, sondern halt Kohlemachen und Allmachtsfantasien, siehe Musks Rumeiern in Sachen „Wer darfs nutzen“, das ist Infrastruktur, die in privater Hand exakt null zu suchen hat. Von daher, die Parallele ist ziehbar, aber IMO fällt sie bei näherer betrachtung recht schnell in sich zusammen.