Kreta ist ein wenig mein guilty pleasure, weil wir waren hier schon ein paar mal und ich komm immer wieder gerne her. In der Vergangenheit fielen mir bereits ungewohnte Aspekte lokalen Kunsthandwerks ins Auge und nun bin ich ein genauso begeisterter Phallusverehrer wie jeder vernünftige Mensch, aber diesmal war das erste Mal, dass ich mir länger Gedanken machte über die allgegenwärtigen Holz- und seltener Seifenpimmel, beide Materialien scheinen mir fragwürdig, dazu später, aber nun, Holzpimmel. Man kann sie hier kaufen.
Gelegentlich mit Alibi-Flaschenöffnerfunktion und gelegentlich auch so als Standalone-Objekt, und klar, kann man mitnehmen, sich an den Schlüsselbund hängen oder zum Nippes auf dem Fensterbrett stellen. Wer bin ich, darüber Urteile zu fällen: irgendwo in meinem Bücherregal steht ein Strickpimmel zum Kuscheln, Homo sum, humani nihil a me alienum puto. Jedenfalls, es folgt Korrupts kritisch-kretische Holzpimmel-Hypothese.
Häufiges Motiv hiesiger Handwerkskunst ist bekanntermaßen die Doppelaxt. Diese war in Kreta zu minoischer Zeit in Gebrauch, und aufgrund ihrer kultischen Bedetung(en) avancierte sie auch zu einem der Symbole unter anderem der Lesbenbewegung, als welche ich sie tatsächlich auch zum ersten Mal bewusst wahrnahm, der kretische Hintergrund erschloss sich mir erst Jahre später.
Naheliegend ist daher, dass Kreta unter LGBTI* möglicherweise diesbezüglich eine gewisse, herausstechende Bedeutung kriegte, nachdem mit Lesbos ja eine weitere griechische Insel diesbezüglich schwer symbolbeladen ist. Arbeitshypothese: die Holzpimmel sind weniger eine rustikale Phallusverehrung der Eingeborenen, sondern eine neuzeitliche Hommage an weitere Teilgruppen des LGBTI*-Spektrums, denen man trotz beaxteter Fruchtbarkeitstempeldienerinnen ein ebenso freundliches Willkommen andeuten wollte.
Mir persönlich leuchtet das vollkommen ein, tatsächlich nehme ich den lesbischen Part der queeren Bewegung zumeist als politisierter, stärker an symbolisch-historischen Ästhetiken orientiert und streitbar wahr, während die schwule Subkultur deutlich stärker sexualisiert, körperlich und lustbetont in Erscheinung tritt. Beides meine ich vollkommen wertfrei und mit beidem verbinde ich durchaus Positives, und zu guter Letzt ist das natürlich alles höchst subjektive Wahrnehmung eines eher begrenzten Erfahrungsfelds, aber hey, es heißt Korrupts Hypothese und nicht Allgemeine Gesellschaftstheorie. Es scheint mir völlig sinnig, Aufgeschlossenheit und Gastfreundschaft in beide Teilbereiche des benannten Spektrums zu signalisieren mit einerseits knuffigen Holzpimmeln und andererseits zart geschmiedeten Doppeläxten. Insbesondere im Kontext der durchaus platonisch-verkopften Homoerotik in der klassischen griechischen Literatur (ja, es gibt Ausnahmen), wirkt auf mich die Herangehensweise sogar erfreulich ausgewogen oder besser, harmonisierend.
Alleine, die Materialwahl. Die Dinger werden hier in Massen aufgehangen, ich vermute daher, dass gelegentlich auch welche verkauft werden. Und, mal ganz unter uns, wer käme nicht auf die Idee, sich zu fragen, ob die wirklich nur als Flaschenöffner taugen? An der Stelle mag ich euch an meiner Welterfahrenheit teilhaben lassen und die Behauptung aufstellen, dass der große Cthulhu für die Sextoys das Silikon erschaffen hat und alle anderen Materialien zurecht randständig bleiben. Insbesondere mit unbekannten Farben lackiertes Holz. Shoppt Silikon, support your local sexshop, denn gelegentlich ists auch nicht verkehrt zu schnuppern, ob die Weichmacher noch aus der Chinaplaste dampfen oder ob das alles auch den olfaktorischen Ansprüchen genügt. Nur beim Einkauf vor Ort nie vergessen: man verliert schnell das Gefühl für Größenverhältnisse. Exkurs Ende. Obwohl, nein, Seifenpenisse: Es gibt naheliegende Gedanken dazu und sie sind falsch.
Ansonsten ist es hier sehr schön und die Katzen mögen mich.
P.S. Die Realität ist der Endgegner, und im vorliegenden Fall schlägt sie mit einer Keule namens „Burani“ bzw. Bourani zu, einer Art Karnevalsfeierlichkeit am Ende der Fastenzeit in Griechenland. In der werden unter anderem auch recht wenig symbolisch-verklausulierte Fruchtbarkeitssymbole in der Gegend herumgetragen, unter anderem auch gigantische Penisse aus Holz, Papier und Pappmachee. Mag sein, dass über diese Deutung des Sachverhalts sogar schon Vice geschrieben hat, meine Hypothese scheint mir die charmantere, menschenfreundlichere und grundsätzlich feinere zu sein, aber einmal mehr, das ist selbstredend mein rein subjektives Empfinden in der Sache.
P.P.S. Ich erinnere mich, aus einer gewissen Onlinemarketingecke her mal mit dem Thema Holzdildos zu tun gehabt zu haben. Unter anderem blieb mir der Name „Holzbock“ für eines der Modelle als Beispiel für „SEO-techisch schwer adressierbare Productbrand“ im Hinterkopf. Als ich irgendwann mal erfolglos stöberte, obs das noch gibt, tat ich alles erleichtert als zurecht verschwundene und am Marktbedarf vorbeigedachte Hipsterkiste ab. Stellt euch mein Entsetzen vor, als ich eben nochmal prüfte, obs tatsächlich noch so ist, und auf gleich eine Handvoll Anbieter von Holzdildos und -vibratoren stieß. Ich halte mich für einen aufgeschlossenen Menschen, aber meine hier einen Trend in eine falsche Richtung zu beobachten.