Wir sind mit dem SEO-Outreach unserer News-Sektion nicht so wirklich glücklich, was liegt also näher, als eine News-SEO-Konferenz mitzunehmen, die zufällig quasi vor der Haustür stattfindet? Ich hatte die Befürchtung, dass es halt viel gängigen SEO-Konferenzen-Effekt hat: man hat sich zwei Drittel der Zeit rückversichert, dass man nach wie vor auf dem Stand ist, und vom Rest dann halbehalbe „Oh, exploitable“ oder „Oh Himmel, was für ein Schwachsinn“, aber holla, lag ich falsch. Größere Eindrücke vorweg, Manöver/Inputkritiken folgen.
Seit heute bin ich ein Fan von Gero Wenderholm. Ich weiss nicht, was ich für eine Keynote erwartet hatte, aber ganz sicher nicht diese. Nachhaltiges Marketing, und oh boy, der Mann wäscht einem so nachhaltig den Kopf, dass es zumindest mir eine Freude ist. Ich reg mich ja immer mal wieder über gewisse Defizite in Sachen gesellschaftlicher Verantwortung unserer Branche auf, und dann steht da vorn dieser Mann und stellt fest, dass Onlinewerbung eine Belästigungsmaschine ist, im RL würden wir eingesperrt für den Scheiß, den wir im Netz treiben, unsere Branche hat einen höheren CO2-Ausstoß als der Flugverkehr, es ist alles zum Kotzen ineffizient, und wir haben noch nicht mal über KI gesprochen. Zu dem Zeitpunkt brauchte ich keinen Kaffee mehr und fühlte mich so dermaßen abgeholt, wie man es auf einer derartigen Veranstaltung auch nur sein kann.
Sein Statement in extremer Kürze: es wird zuviel und vor allem zuviel Müll geballert. Das ist ein Problem der Marketer, aber auch der Publisher. In der Verantwortung sind aber auch und grade die „SEOs“, die jetzt nochmal mehr (KI-gespinnten) Müll ins Netz ballern, um sich gegen die (KI-gespinnten) Müllfluten der werten Kollegen durchzusetzen.
An ein „Lasst den Scheiß“ kann ich mich vollumfänglich anschließen, spannend fand ich das Statement, dass viele seiner erfolgreichsten Optimierungsprojekte Themenreduktionen waren: Profile schärfen, sich auf die Inhalte konzentrieren, auf die es ankommt, die und nur die so gut wie möglich machen. Und ja, man muss es natürlich druntertackern: nachhaltiger wie SEO ist keine andere Marketingform.
Nach dem Eingangslob gleich mal der Diss an die Veranstalter (den sie nicht verdient haben, weil alles andere war wirklich völlig angenehm und charmant): unter diesem Gesichtspunkt kann man auch mal die Veranstaltungsagenda hinter dem QR-Code betrachten. „Zuviel Müll ballern“ kann man nicht nur mit KI, dazu reicht auch eine Auslieferung des Konferenzprogramms via Adobe. Auf dem iPhone sieht das dann original so aus.
Aber die großen Bögen. Ich halte mich nach wie vor nicht für den großen Netzwerker, es mag vor allem an der architektonisch charmanten Terrassenlösung der Location sowie der Nikotinsucht auf meiner und der Seite einiger spannender Menschen liegen, dass es zu einigen erhellenden Gesprächen kam.
Ich stellte fest, dass ich von News-SEO schlicht keine Ahnung (mehr) hatte. Zehn Jahre wirds her sein, dass ich das letzte mal ernsthaft tickerte, wen wunderts. Jedenfalls:
– Google Discover ist der große Shit, und da muss man hin. Quasi die personalisierte News-Timeline, und je nach Outlet kommt da 30-50% des Traffics der einschlägigen Publisher her.
– Republishing, its a thing. Vergesst Cool Urls Don’t Change, wenn die News zwei Tage alt ist, kriegt sie ne neue URL und nen frischen Timestamp, kommt nach oben im XML-Feed und schwupps, wird sie nochmal durch die Mühle gedreht. Leute analysieren, wie oft welche News so recycled werden können und es fallen Sätze der Art, dass man „sowas wie Solingen“ halt auch nicht drei Tage lang loopen kann. Ich schweife ab, mein Knackpunkt ist ein anderer, und zwar
Die deutsche Medienlandschaft hängt vollkommen ausgeliefert am Googletropf, denn
– Republishing funktioniert praktisch nur noch in Deutschland. In allen anderen großen Märkten hat Google das bereits gekillt, und wenns in .de auch gekillt wird, gibts, ich zitiere, „ein Blutbad“. Vielleicht auch nur ein Ende mit Schrecken und hinterher haben alle weniger Arbeit, aber ich vermute, einige Menschen würden kurzzeitig sehr sauer.
– Discover ist eine Blackbox. Niemand versteht genau, was da warum und wie drin landet und was nicht, und es wurde anschaulich demonstriert, dass Googles „das und das da geht für Discover gar nicht“-Ansagen allenfalls grobe Leitplanken sind. Nun sind Blackboxen bei Google weder neu noch per se beunruhigend, nur wirkt auf mich die ganze Kiste ein wenig wie der Facebookfeed oder eine Tiktok-Timeline, sowas wie Googles nächster Versuch, eine social-algorithmische Nutzerdruckbetankung zu spielen, und wir wissen alle, wo Googles Social-Experimente enden.
Long story short: ich vermute, da werden grade die deutschen und globalen Extrawürste aus dem und nur dem Grund gebraten, weil Google keinen Bock auf noch eine Kartellklage hat.
Im übrigen hatte ich durchgehend den Eindruck sehr soliden Handwerks bei allen Gesprächen, mit den üblichen moralisch divergenten Herangehensweisen an diverse Themen und Tätigkeiten. Wer bin ich drüber zu urteilen, ich hab Porn, Waffen und (vertretungsbedingt und gegen meinen erklärten Willen) auch mal Homöopathie vermarktet und für letzteres schäme ich mich sogar, darf man angesichts des Satzes „Hat man nicht alle Tage, dass man von einem sterbenden Sportler solche Bilder hat“ im Kontext von clickbaity Teasern moralische Urteile fällen? Man darf, ich freu mich aber einfach mal still über mein mir sehr angenehmes aktuelles Betätigungsfeld.
Der Moment, als ich wirklich schreien und alles anzünden wollte, war dann aber ein anderer: als ich nebenher erfuhr, dass die Tagesschau, immerhin die wichtigste Nachrichtensendung Deutschlands, exakt eine SEO hat, die halt Tech- und Contentseo macht (btw., auf verdammt hohem Niveau), weils sonst niemand dort kann oder tut und außerdem ist sie Externe. Ich fasse es nicht. Wir reden vom Vereinnahmen der Diskurse durch wahlweise Nazis, russische Desinformationskampagnen, chinesische Staatsmedien und überhaupt amerikanische Plattformen, und der wichtigste Nachrichtenchannel in .de hats nicht nötig, an seiner öffentlichen Sichtbarkeit zu arbeiten.
Und sonst? Vieles erstaunlich technisch. Google-APIs anzapfen zum safe Bilder vorabchecken, Screaming Frog für 30 Millionen Zeilen-Datensätze auf VMs einrichten (ich musste sehr grinsen, als die Leute bei der Linux-Kommandozeile zum Updates und Python reinspielen ausstiegen), Komplettautomatisierungen von Redaktions- und (hihi, Re-)Pubishingplänen, ich hab praktisch keines der behandelten Probleme in meinen Tätigkeitsfeldern, aber sicher ein paar Einsatzzwecke für die vorgestellten Lösungstools.
Fazit: Spannend, erhellend, erschütternd, gerne wieder.
Lieben Dank für die konstruktive Kritik und netten Worte! Wir haben uns sehr gefreut und sehen uns hoffentlich auch nächstes Jahr wieder. Toll, dass Du so viele spannende Eindrücke mitnehmen konntest :)