Schwer, knackig in eine Überschrift zu packen. Im 38C3-Nachgang fiel mir a) auf, dass es ausreichend Bilder in der entsprechenden Commons-Kategorie gibt, b), dass es magerer wird, je länger man zurückgeht und beim Versuch, mein Scherflein zur zugänglichen Bewahrung der Congresskultur unter freier Lizenz beizutragen, ergab sich naturgemäß das Sichten einiger Bilderarchive, die eine interessante Entwicklung andeuten. Über die und ein paar gefundene Bilder mag ich ein paar Worte verlieren und direkt auch die Bitte an jene Fraktion loswerden, die langsam an Vorsorgeuntersuchungen denken sollte: Alle Congresse kleiner 3 vorne sind erheblich schlecht bebildert. Wie bereits nebenan geschrieben: Stöbert! Ladet hoch! Use moar bandwidth! Es ist unsere Kulturgeschichte, und die muss auf Commons.
Vorher auch noch ein kurzer „We came a long way“-Eindruck auch in technischer Hinsicht: meine persönlichen Grenzen des Beitragens haben mit der erdenschlechten Kamera-Performance alter iPhones in dunklen Umgebungen (looking at you, congress) zu tun, himmel, die ältesten Sachen sind von einer Fuji-Digitalkamera mit ca. einem Megapixel Auflösung. Weiter, ich bin „erst“ ab dem 22C3 auf Congressen gewesen und viel fotografiert wurde dort lange nicht, schon gar nicht vom kleinen Ruppsel, der jetzt bei den coolen Hackern mitspielte. Whatever.
Wobei, an der Stelle: wie sahen früher(tm) denn die Fahrpläne aus, mit welchen Tools und welchen UIs organisierte mensch einen Congress? Es sind nicht nur die Themen, es ist auch die Art, wie man sie sich plante (bzw. verpeilte. Eine der Konstanten der Congressgeschichte IMO)
Statt „Stimmungen“ schrieb ich „Aggressionen“ in einer ersten Version der Überschrift, „Agressionen“ schien mir ein zu enger Aspekt. Stimmungen also. Maximal subjektiv, und ich erlebe den Congress regelmäßig als eine Veranstaltung, die mich zuversichtlich, mutig, aber eben auch zornig macht. Vor allem der letztere Aspekt hat sich meinem Empfinden nach über die Jahre aber gewandelt und ich krieg den Finger nicht genau drauf und kanns auch schlecht bewerten. Daher Disclaimer: mir gehts mitnichten um ein „Früher war alles besser“, hier und da wird das Gegenteil der Fall sein. Mich interessiert vor allem, was sich über längere Zeitabschnitte hinweg nach und nach verändert hat und warum, und vor allem, was möglicherweise in Vergessenheit gerät, worum es einfach auch schade wäre, oder wovon wir durchaus auch heute noch was hätten. Wie sah die Wau Holland-Stiftung früher aus? Was wurde aus den Pesthörnchen, und warum? Wer machte die L33tmate, und warum dann irgendwann nicht mehr? usw.
So der ganz grobe Eindruck geht in die Richtung „früher war direkter“ und teils auch… und da fängts schon an, ich meine „anders sexualisiert“. „Pubertärer“ ist durchaus auch ein Aspekt, aber er triffts nicht wirklich ganz. 27C3: „Fuck the closing door“, würde man das heute noch aufhängen? Die Wikileaks-Kondome, gleiches Jahr, sind auf mehrere Weisen nicht gut gealtert, aber… hm. Ich beobachtete dieses Jahr „Lesbian Sex!“-Eventveranstaltungsaushänge und begrüßte sehr, es ist aber eindeutig was anderes (Empowerment, kam von den Haecksen und war explizites Flinta-Meet, Greet, Everything Else).
Ich tu mich schwer, da von „Entwicklung“ zu reden, ab davon, dass wir einen weiten Weg von „There are no girls on the Internet“ kamen. Ich glaube nicht mal, dass das zwei Punkte auf derselben Gerade sind. Aber „We make Porn“ – mir gehen die Sticker aus, und wenn der nächste Schleppi kommt, was soll ich draufkleben? Ich meine, der erste war „We like Porn“, dann „…make…“ und dann „…fake…„, und seitdem wars das irgendwie.
Zugegeben: auf den FTPs war dieses Jahr wieder Pr0n, das sah auch schon schlechter aus. Wir dissen die Furries nicht mehr wie noch anno 2006 (23C3, Pic von Taw, CC-By-SA), im Gegenteil, und das ist definitiv eine Gute Sache und zivilisatorischer Fortschritt, und es folgt gar kein Aber. Wir sind schon immer eine höchst diverse Community gewesen, dass man dass heute auch klar und deutlich sieht und dass es vollkommen gut und richtig so ist, das ist wow und ich freu mich immer wieder neu darüber. Auch die gelegentlich beklagte FTP-Situation besserte sich gefühlt in den letzten Jahren wieder, wenngleich ich die aggressive Bewerbung manchmal immer noch vermisse.
Einige Geschichten scheinen mir aber irgendwie ein wenig eingeschlafen, und ich weiß nicht recht, warum. Da mag vieles auch ein „been there, done that“ zu sein, aber ich hab länger schon keine 3d-gedruckten Leuchtdildos gesehen (Hintergrund Nichteignung des Filaments? keine Ahnung).
Die Cocktailbots scheinen auf die Roboexotica gezogen zu sein und vielleicht ists eine Hauspolitik, was selbstausgeschenkten Alk angeht, aber IDK. Aber eben auch die „drastischeren“ Kisten. Ela schrieb nebenan, die Junge Welt sei mit dem antistalinistischen Kurs des Congresses nicht ganz glücklich, und mir fiel auf, sowas wie oder Äquivalente zu monochroms Soviet-Unterzögersdorf hab ich lang nicht mehr gesehen (Johannes, gib Sektor 3!).
Den Lenin in Saal 1 hätte ich schon gerne mal wieder gesehen, und ich erinner mich auch an einen Event, wo es dann doch recht drastische Maßnahmen der Sowjet-Security gab, als Gegner des kommunistischen Versprechens meinten, die Veranstaltung kritisieren zu wollen (oder die Feierlichkeit des Augenblicks durch unangemessen schwaches Applaudieren nicht ausreichend würdigten). Ich verstehe durchaus, dass das grenzwertige bis -überschreitende Performances sind, aber grade deswegen finde ich sie richtig und erkenntnisvermittelnd. Geht das nicht mehr, brauchen wir das nicht mehr, wollen wir das nicht mehr? Ich weiß es nicht und hätts gerne wieder.
Und außerdem den Pedobear, handelt mit es. Die Seidenstraße hat im Übrigen zwar eine eigene Commonscat, aber bin ich wirklich der einzige, der die anzügliche Steuersteckdosenbeschriftung (schlecht) geknipst hat?
Dunkin Donuts DDoS? Im Bahnhof Dammtor ist einer, der ist so winzig, das hätte was von „drei Kerle verdreschen gemeinsam ein kleines Kind“, aber es soll im erweiterten Umkreis des CCH weitere geben. Ich wage mich mal an die Ansage, dass es für den 39C3 grobe Pläne gibt. Nichtsdestoweniger, spontane Anfragen letztens im Fediverse stießen zwar auf Resonanz, aber gefühlt halt auch irgendwie auf ein „Hä?“ Selbstwirksamkeit erfahren, Infrastruktur lahmlegen und Donuts, ich meine, was gibts da zu überlegen? N3v4r f0rg3t!
]Andere Form der Entwicklungen: Der Kidspace ist meiner Ansicht nach das direkt augenfälligste. Die Hacker forken neue Prozesse, hieß es irgendwann mal sinngemäß in einer der „Wir haben nen Kidspace“-Ankündigungen, und schon allein, weils klein war, konnte da das CCB seinerzeit natürlich nicht auftrumpfen, aber entweder war damals noch nicht soviel geforkt worden (wir hatten ja nichts!), oder Congress war halt doch so ziemlich ein Jungensding. War es? Auch irgendwie, und das „irgendwie“ ist wieder eine dieser vagen Empfindungen, die ich schwer konkretisieren kann.
Ich hing zuletzt zuwenig in Kidsspaces rum (Was die Kids heute haben! Synthesizer! Lego-Sumo-Roboter! Besseres Lötequip als wir!), aber irgendwie ist nach wie vor eine meiner schönsten Congresserinnerungen die von irgendwann, als es eben eine Duplo-Eisenbahn gab, ich nachts um drei an selbiger mit ein paar grübelnden Nerds daneben vorbeikam und mir erklären ließ, dass sie grade versuchten, alle Gleisteile zu verbauen, in einer Weise, dass die Lok an jeder beliebigen Stelle losgeschickt werden kann und anschließend jede Weiche? jeden Gleisabschnitt? exakt einmal befährt. Topologiedebatten nach Mitternacht am Beispiel Duplo-Eisenbahn, es erwärmt mein Herz wie Bomber Harris Dresden.
Themawechsel, Policies. Spannend: der 21C3 (der 22C3 danach war mein erster, und es gab noch einen Raucherbereich im Hackcenter!). Jimbo himself war da, die Photo-Policy wurde offenbar recht lax ausgelegt, und man durfte noch im Hackcenter pennen.
Von Marcela, CC BY-SA 3.0, Link, Link Bitte nicht als Onprangering verstehen, ich bin begeistert, dass es diese Bilder gibt und gehe davon aus, ein „to protect the guilty“ hat sich 20 Jahre später erledigt.
An der Stelle aber auch eine der größeren Veränderungen über die Zeit: Das „man pennt im Zweifelsfall irgendwo in der Ecke“ wurde irgendwann offiziell für beendet erklärt, aber meines Wissens nach nie irgendwie durchgesetzt, es schlich sich halt aus. Selber bin ich einigermaßen sicher, über die Jahre hinweg eher allenfalls so zwei Drittel der Congress-Nächte in einer offiziellen externen Schlafstätte verbracht zu haben, der Rest war durchmachen oder irgendwann drei Stunden auf nem Sofa wegpennen. Damit war ich nicht alleine, und aus dem Grund gab es früher(tm) so ab Tag zwei überall die Aushänge, welchen Tag wir haben.
Das gibt es nicht mehr, und wahrscheinlich ists nicht notwendig, aber ich halte es für einen Verlust an Kulturgeschichte. Missi lief auf dem 38C3 mit einem „Tag 3“ respektive „…4“ auf dem Namens-LED-Display rum und ich schwöre, sie war die einzige Tagesanzeige, die ich 2024 auf dem Congress sah, es ist schade drum.
Was mich zum Thema Memes bringt. Dieses Jahr etwas dezent ausgefallen, Message „Das Open Wifi ist sicher, es ist alles gut“. Ich meine, die drastischste Meme-Eskalation war seinerzeit die „Birds aren’t real“-Kiste auf dem 35C3, aber bereits im Jahr vorher war der Krieg zwischen Tab- und Space-Invaders ganz allerliebst. Auch hier kein „ach, früher“, und das Thema ist eh eines, das seine eigenen und kaum steuerbaren Mechanismen hat, ich finds nur ein wenig beängstigend, dass diese Aspekte und Geschichten irgendwie auch bevorzugt in Vergessenheit geraten.
Klar, auf Wikimedia Commons wurde beim 34C3 halt vor allem High End-Fotografie diverser Assemblys (lol, Bitcoin!) reingeladen und klar, das ist schön und cool. ich lege mich aber fest: in den realen Birds, Tardigrades, Velociraptoren und Wurzeln aus -1 steckt mehr von unserer Kulturgeschichte drin, von „Barista, Barista, Antifascista“ ganz zu schweigen. Davon will ich mehr sehen, wenn ich zehn Jahre später gucke, was uns so umtrieb.
So. Wer bis hierher gelesen hat, dankeschön. Man könnte das noch endlos fortsetzen und auch abwägen, ob der diesjährige Trend zur Käsefondue im Hackcenter eine zu begrüßende oder eher kritisch zu betrachtende Revival-Variante vom irgendwann in den 20er-Congressen verbotenen „Grillen im Hackcenter“ ist (ich meine, der konkrete Anlass waren Shrimps), aber an und für sich ist mein Appell ein „Stöbert eure Bildarchive durch und füllt die Commonscats, vielleicht grade mit dem Kram, von dem man vor acht Jahren dachte, ach nee, das ist zu speziell“. Shoutout an die Althacker: Von Congressen mit 1 vorne dran (oder gar einstellig) gibts gar nichts. Sehet, das sind leere Upload-Directories, die bedürfen sehr, dass man sie fülle.
Hinweise auf weitere historische Betrachtungen und Quellen immer gerne.
Zwischenruf aus der Zone:
und selbst das nicht jeden Tag!