Wie geht man damit um, wen man davon ausgeht, dass die Privatsphäre schlicht ein Auslaufmodell ist? Das ungefähr die an sich pessimistische Grundannahme eines dann betont optimistisch gehaltenen Vortrags. Hier kurz die Notizen ein wenig ausformuliert, dazu dann ein, zwei Gedanken.
Grundannahme: Das „Auffressen“ der Privatsphäre ist ein selbstverstärkender Prozess, über Zwang, Pragmatismus, Attraktivität, Eigeninteressen. Das „privatsphärenfressende Monster“ kann an sich nie „zufriedengestellt“ werden, es wird mit wachsenden Datenmengen, die ihm zur Verfügung stehen, größer, hungriger, intelligenter, aber eben auch attraktiver. Und wenn es da ist, kriegt mans nicht mehr weg.
Gegenspieler des Monsters sind die „Verteidiger“, deren Waffen (Gesetze, Technik) jedoch versagen – Recht ist langsam, regional beschränkt, die Technik unsicher. Man „gewinnt“ nie endgültig und wenn man verliert, verliert man immer total.
Problem/Chance: Partizipation ist in der Regel positiv. Information ist gut, Informationsaustausch kein Nullsummenspiel. Man profitiert auch aus seiner „Zurschaustellung“, die Gesellschaft als solche tuts auch – Stichwort Networking und so weiter. Außerdem führt die zunehmende Selbstdarstellung auch zu anderen positiven Folgen. Insbesondere wäre das die Sichtbarkeit von Verschiedenheit – die Gesellschaft kann ihren Konformitätsdruck unter diesen Bedingungen nicht mehr in derselben Form aufrechterhalten, das Aushalten von Differenz wird ein weitaus präsenteres Phänomen in einer sich intensiv informierenden und präsentierenden Gesellschaft.
Statt Konformität: Persönlichkeitsvielfalt, multiple Identitäten, überhaupt die Aufhebung der „Identität“ als singuläres, individuelles Phänomen.
Aber es kommt noch besser. Konzepte wie „Sousveillance“, oder „equiveillance“ werden realisierbar. Was passiert, wenn man zurückbeobachtet, statt sich nur darzustellen?
Hier begann es mir zu rosa zu werden. Durch das Beobachtenkönnen auch auf Bürgerseite wird die Gesellschaft möglicherweise „vertrauensvoller“ – man erfährt mehr über die Gegenüber, ist besser über sie informiert und kann sich natürlich auch anders auf diese Infos verlassen, als wenn man es mit vollkommenen Unbekannten zu tun hat. Weitergedacht auf Institutionen beispielsweise könnte das so leichter verfügbare Vertrauen ein Stück weit Kontrolle ersetzen. Wen man gut kennt, muss man nicht mehr in demselben Maß kontrollieren wie einen Unbekannten.
Zwei Punkte, die mir dazu einfielen:
– „Sousveillance“, das „Beobachten der Beobachter ist ein mir höchst sympathischer Ansatz, der ja auch mit den hier wieder wild fliegenden Videodrohnen beispielsweise umgesetzt wird. Eine Irrenveranstaltung wie die aktuelle Terrorgesetzgebung und ihre Folgen wurde ja gestern schon ausführlich vorgestellt. Diese ganzen neuen Möglichkeiten der „Wacht über die Wächter“, Gegenbewegungen, denen auf einmal ein völlig neues technisches Instrumentarium zur Verfügung steht usw. – Nur kranken die eben an ihrem Charakter einer „Gegenbewegung“, „Gegenöffentlichkeit“ sind sie nur im höchst eingeschränkten Maß. Beispiel Genua – selten war so gut dokumentiert, was Herrschaftswahrheit war und was tatsächlich passiert ist, dennoch hat sich erstere in der Öffentlichkeit weitgehend durchgesetzt. Selten wurde so anschaulich dekonstruiert, was für ein Schwachsinn im Antiterrorkampf nicht nur gesagt, sondern auch veranstaltet werden kann, nichtsdestoweniger findet er statt. Ohne Medienmacht ist die Möglichkeit zur „Wacht über die Wächter“ nicht viel wert, weil es dann eben um Realitäten geht, die niemand wahrnimmt.
Das kann noch interessanter werden, aber im Moment hab ich beispielsweise das Gefühl, dass die vielbeschworene Graswurzel-Medienmacht ungefähr stagniert. We will cee.
– Wie ist das Interesse verteilt? Ich wage zu behaupten, dass dasselbe Maß an Aufmerksamkeit, gerichtet auf öffentliche und auf Privatpersonen, völlig unterschiedliche Ergebnisse zeitigt. Annahme: bis auf weiteres wird es sich auf einen Roland Koch nicht groß auswirken, was er an gut dokumentierten Dreck am Stecken hat, wenn er sich um einen Posten als Ministerpräsident bewirbt. Wenn sich Lieschen Müller als Kassenangestellte bewirbt und ihr Arbeitgeber ähnliche Vergangenheitschecks macht, sieht das schon anders aus. Dasselbe Mittel führt zu unterschiedlich starken negativen Auswirkungen, und für „die da unten“ sieht es dabei definitiv schlechter aus.
Ums kurz zusammenzufassen: für einen „Embrace“ sehe ich keine Anlässe, es sei denn, es kommen irgendwelche geilen Strategien und Effekte, die mir nicht einfallen wollen oder die ich mir nicht realistischerweise vorstellen kann. Interessant und auch produktiv finde ich aber durchaus die Strategie, die Geschichte mal andersrum zu betrachten und zu schauen, welche Möglichkeiten man trotz allem hat und kriegen könnte.
Am Rande, weils irgendwie dazupasst: grade erstritt ich mir mit ein paar anderen wackeren Sympathisanten das Betatesterrecht für Sowjet-Unterzögersdorf, Sector 2. Mit auf der Bühne: ein Mädel mit einem der „Keine Bilder!“-Shirts des FoeBuD. Da fiel mir der Satz von heute vormittag wieder ein – man kann ewig gegen das Monster kämpfen, gewinnen kann man nie und verlieren tut man total. Die Aufnahmen wurden gestreamt, werden runtergeladen und sind in ner halben Stunde bei Piratebay. Wie sangen Staley und Cantrell? Yeah, its over now.
P.S. Es scheint mir unklug, einen Vortrag auf dem CCC-Congress zu halten und auf der Domain der angegebenen Mailadresse ein public wiki namens „privatewiki“ laufenzulassen. Video-Ansehtipps von heute sind definitiv fefe und die Rapid Prototyping-Geschichte.