Bei Casi kommentierte ich ja schon Pessimistisches zu der neuen Anti-Kinderporno-Initiative White IT. Ich betrachte selbige als alte Scheiße in neuen Haufen, Casi ist optimistischer. Nachdem meine letzte Diskussion „nebenan“ auch schon etwas länger wurde, verschwende ich mal wieder eigene Bandbreite. Wird ein wenig länger, es geht mir darum zu zeigen, warum White IT ebenso ein Griff ins Klo bzw. der Einstieg in die Zensur-Infrastruktur werden wird wie Zensursulas feuchte Sperrträume, egal wie kompetent die jetzigen Akteure sein mögen. Die Lage der Opfer verbessert sich dabei in keiner Weise, aber das Kindeswohl ist nach wie vor in meinen Augen bei vergangenen und aktuellen Plänen eine der allerletzten Prioritäten, so sehr sie auch allenthalben in den Vordergrund geheuchelt wird.
Catch-22 – ein Dilemma, in dem eine „gesunde“, richtige Entscheidung angesichts der Regeln, denen sie im Vorfeld unterworfen wurde, automatisch zum falschen Ziel führt. Die beteiligten Institutionen können sich nicht im Sinn der Ziele – Kinderschutz und Täterverfolgung – verhalten, weil die Regeln des Kinderschützens und Täterverfolgens das nicht erlauben.
fefe hat ja schon ein paar schöne Passagen aus dem einschlägigen heise-Artikel zitiert, ich mach mal weiter. Es geht los mit Schünemann, der mit dem herrlichen Satz
„Noch immer gibt es keine effektive Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet“
endlich mal die Unfähigkeit seiner Strafverfolger beim Namen nennen würde, ich sag nur Operation Himmel, allein, ich glaube, er meint die einschlägigen Initiativen, die es seit gefühlt schon immer gibt. Es gab sogar welche, die sowohl virtuell als auch in Echt Prävention betrieben, bis sie zwischenzeitlich kaputtgespart wurden, von alledem hat offenbar niemand bei white-IT was bemerkt. Laut heise entblödete sich der Jugendmedienschutzbeauftragte des Deutschen Kinderschutzbundes Ekkehard Mutschler auch noch zum Spruch, man müsse der „starken Täter-Lobby“ für Kinderpornos im Netz eine „Lobby für Kinder und Jugendliche“ entgegensetzen. Eine offizielle Webseite der Interessensgemeinschaft Anonyme Kinderficker hat er leider nicht gefunden, zumindest sowas ähnliches hätte er ja mal als Beleg seines Gefasels bringen können, aber das tun ja glücklicherweise andere. Jedenfalls wird das nun alles anders und besser, denn jetzt sollen ja Staat, Wirtschaft und Wissenschaft am gleichen Strang ziehen. Der Wissenschaft wird nichts anderes übrigbleiben, und dass der CCC draußenblieb, rechne ich ihm hoch an.
Wo ist der Catch-22?
Internet-Branchenvertreter
Bei denen beginnt er damit, dass sie bei White IT dabei sind (Microsoft mal außen vor gelassen, die wollen nur Silverlight pushen, dazu später). Dass sie dabei sind bedeutet, dass sie als Akteure im kommenden Kampf gegen Kindsmissbrauch betrachtet werden und diesem Anspruch nun auch irgendwie gerecht werden müssen.
Das heißt, dass sie nicht damit kommen können, dass es zum Kindsmissbrauch exakt zweierlei braucht: ein Kind und einen Missbraucher. Man braucht keinen Internetprovider, keine Kamera, keinen Hoster, nichts von alledem. Dass kommt alles dann, wenns bereits zu spät ist. Diese Position zu vertreten, hieße zweierlei: einmal müsste sich die Frage anschließen, was die deutschen Provider überhaupt bei White IT verloren haben, und weiter die Antwort „Oh, stimmt. Wir gehen dann mal.“ Das wird nicht passieren, denn es würde nach der diesbezüglichen Verblödung und Hysterisierung der Debatte sofort heißen, da stehlen sich welche aus der Verantwortung. Die Presse wäre vorn dabei und natürlich die Politik, die ihren schwarzen Peter mit größtmöglichem Effekt abwerfen würde.
Insofern wundert mich der vorauseilende Gehorsam absolut nicht, den heise ebenfalls schön dokumentierte:
„Bitkom-Präsident August-Wilhelm Scheer zeigte sich besorgt, dass das Netz imstande sei, einen ‚Motivationseffekt‘ für Sexualstraftäter auszuüben: ‚Wenn Leute übers Internet mit Kinderpornographie in Kontakt kommen, können ihre pädophilen Neigungen erst angeregt werden.'“
Das ist zwar ungefähr so blöd wie die These, Schwulsein sei ansteckend, aber hier gehts ja nur um Kinder, da darf man beliebigen Verbalmüll absondern, er muss nur irgendwie verantwortungsvoll klingen.
Egal, was bei Politik und Wissenschaft passiert: man wird nie Vollzug melden können, nie sagen, OK, der Fall ist erledigt, im Netz gibts keinen KiPo mehr. Und solang das der Fall ist, kann man sie zur Verantwortung ermahnen, ziehen, bashen – und entsprechend werden auch Sperren kommen. Oder zumindest die Technologie.
Politik
Nach dem Zensursula-Desaster hätte es eine Möglichkeit gegeben (eine peinliche, zugegebenermaßen) einzugestehen, dass das alles schlicht Scheiße war. In Ansätzen ist das ja passiert, Schäuble gab ja zu, dass das Wahlkampfgetöse war (das „und geschissen auf die Kinder“ ist nicht von ihm, das unterstelle ich aber aus gegebenem Anlass den Akteuren). Dass bringt aber nichts, denn wie Schünemann beweist, ist das Thema im politischen Zusammenhang eine zu große Versuchung, sich leicht zu profilieren, um es liegenzulassen, wenns mal liegt. Weiter werden die einschlägigen Scharfmacher und Demagogen nicht als irgendwie zu bremsendes Übel behandelt – das hat man ja nicht mal zu den schlimmsten Zeiten Zensursulas getan – denn das Ziel, die Sperr-Infrastruktur, die ist ja noch in anderen Kontexten gewünscht, ob gegen Terror, gegen Urheberrechtsverstöße, gegen Linke, was auch immer. Wenn nicht über Deutschland, dann über die EU oder sowas wie ACTA.
Dazu passt ja auch, dass die von der Laien noch immer nicht zurückgepfiffen wird, sondern noch immer ihrem Sperrwahn lustig in der Öffentlichkeit frönen darf.
Zusammenfassend: wenn auch nur ansatzweise die Gefahr droht, dass irgendwie im Netz auch nur ein einschlägiges Bild zu sehen ist, wird die Politik die Provider in die Pflicht nehmen. Bzw., wird das irgend jemand aus der Politik tun, weil so kann man sich profilieren. Wenns der eine nicht tut, dann tuts die andere. Man steht gut da, und jemand anderes ist schuld. Vor allem: dieser Fall wird bereits vorbereitet, siehe Zensursulas neueste Absonderungen und dieses Gerede von den Ländern, denen man „Entwicklungshilfe streichen“ könne, wenn sie Löschforderungen nicht nachkommen. Spätestens dabei hatte ich das Gefühl, dass es endlich Zeit wird, in Entwicklungsländer ein paar vernünftig angebundene Serverzentren aufzustellen. Der afrikanische Netzausbau im Zug der Fussball-WM in Südafrika schafft da vielleicht ein paar Möglichkeiten.
Wissenschaft
Um die tuts mir am meisten leid. Die Argumentenlieferei für ein paar billige Populisten lässt man sich hoffentlich wenigstens fürstlich bezahlen, und hoffentlich werden so viele Mittel als möglich für sinnvolle Forschungen zweckentfremdet. Denn dass alles andere wie eine 100%-Quote bei Prävention, Lösch-Evaluation oder Verifikation der „Anfix“-Hypothese in Sachen Kinderpornografie wird zur Hinterfütterung der Zensur verwendet werden. Ebenso, wie die Profilierungsmechanismen in der Politik zwingend greifen, die Politik auf dieses Prinzip praktisch gründet, so greift hier eben das Prinzip der Wissenschaft, dass es solche 100%-Ergebnisse nie geben wird und nicht geben kann.
Das Ergebnis
Alle folgen der Logik ihres Systems und führen das Ergebnis dadurch recht vorhersehbar herbei. Wer sich der Logik verweigert, macht sich in seinem System so weit angreifbar, dass er aus der weiteren Ergebnisfindung problemlos bzw. unter Beifall aller anderen rausgekantet werden kann. Das Ergebnis werden die Sperren sein, nur eben ein wenig besser propagandistisch hinterfüttert.
Die Lacher zum Schluss
Schünemann ist im Übrigen „Vertretungsberechtigter“ der Seite WhiteIT.de, die von Microsoft Deutschland ins Netz erbrochen wurde und auf der zum „…Betrachten einiger Inhalte … zusätzliche Software wie zum Beispiel den Adobe Acrobat Reader von Adobe und Microsoft Silverlight“ benötigt werden. Ohne Silverlight kriegt man immerhin das Impressum zu sehen, das mir nebenbei verbietet, folgenden Eindruck aus der Source der Site zu zitieren, in dem sich dann
meta name=“keywords“ content=“WhiteIT, Bündnis, Kinder, Pornografie, Kinderpornografie, Pornographie, Kinderpornographie, Sexuell, Belästigung, Gewalt, Schutz, Bekämpfung, Internetseite, Herunterladen, Obhut, Erziehung, Aufmerksamkeit, Strafrecht, Gesetz, Zensur“
findet. Das einzig seltsame in dem ganzen Trauerspiel: Silverlight fehlt.
Hat diese Seite, für die ich mir gewiß nicht Silverlight installiere – Sollten (halb-)staatliche Seiten nicht barrierefrei daherkommen? Was machen möglicherweise Hilfesuchende? Silverlight installieren? – eigentlich auch eine Datenschutzerklärung, Google Analytics wird ja selbst auf mich schon losgelassen, obgleich ich da gar nichts sehe.
Oh, Google Analytics hatte ich nicht mal registriert, obwohl ich schon in der Source rumgeguckt hatte… Asche ueber mein haupt und thx fuer den hinweis, angesichts der laufenden Debatte ueber Datenschutzerklaerungen auch ein schoener Patzer.
Aber das alles zusammengenommen ist so der Punkt, an dem ich doch einigermassen die gewissheit empfinde, dass wir auch hier wieder in gewohnter Form unreflektierte Schnellschuesse, Populismus und Aktionismus galore auch weiterhin kriegen werden. Experten und Buendnisse hin oder her. ich glaube, gar auch hier schon Teile des angesprochenen Zwangs der Saystemlogik zu sehen – man muss demonstrieren, dass man „was tut“, und hauptsache, das wird schon mal demonstriert. Alles andere ist zweitrangig.
Ausser natuerlich der zensurinfrastruktur, die man hinter all dem als Nebeneffekt dann natuerlich nutzen muss. So „Oh hoppla, jetzt haben wir sie ja doch“, und wahrscheinlich wird irgend ein Trottel womoeglich noch im besten Glauben dran, das richtige zu tun, selbige unter dem Etikett „Der Rechtsstaat muss alle Straftaten gleichermassen bekaempfen, wenn er die Moeglichkeit hat“ in Karlsruhe einklagen.
„White IT“ – hört sich für mich so an, als habe sich der Chef des Klu-Klux-Clan erstmals mit dem Internet befaßt…