Auch hier mal wieder Disclaimer vorweg: Kathrin Passig kann irgendwie schreiben, was und zu welchem Themenbereich sie will, ich finds toll. „Das neue Lexikon des Unwissens“ entstand gemeinsam mit Aleks Scholz und Kai Schreiber, ist das zweite Buch seiner Art (das erste heißt, wenig überraschend, „Das Lexikon des Unwissens“ und ich habs nicht gelesen), und ich mags. Warum, mag ich gerne erläutern.
Der Esel fängt bei sich selber an: ich bin ein großer Freund des Wissens und seh mit großem Respekt die Leute, die – oft genug recht brotlos – erhebliche intellektuelle und andere Energie drauf verwenden, einigermaßen gesichertes Wissen herzustellen. Das lässt sich die Welt einerseits ungern abringen, andererseits ist die Menschheit oft genug mit dem Quark glücklich, den irgendwelche Esoteriker absondern, insofern, es gehört was dazu. zu guter Letzt: ein wenig als ein Teil dieser Spezies betrachte ich mich auch und bei so manchen Frage- und Problemstellungen im „Neuen Lexikon des Unwissens“ ertappte ich mich beim „Oh ja, das kenn ich“-Nicken.
„Das neue Lexikon des Unwissens“ ist nichts weniger als eine Hommage an all diese Leute, die sich an den angeführten und anderen Problemen die Hirngewinde heißlaufen lassen. Das, obwohl, bzw. gerade, weil es sich um ungelöste und teilweise wohl unlösbare Fragen handelt. Die Grenzen des aktuellen Wissens auszudefinieren, ist eine verdienstvolle Sache, und vor allem vermittelt Passig dabei anschaulich, an welche verschiedenen Arten von Grenzen, Hürden, Hindernissen man so stößt, wenn man wirklich was erfahren will und keinen Esobestseller oder Deppenratgeber schreiben will. Dabei werden große Fässer aller Disziplinen aufgemacht (sozialwissenschaftlich: Krieg, „Qualia“ (was ich besser bei der Frage nach dem Bewusstsein an sich einsortiert hätte); naturwissenschaftlich: Naturkonstanten, Links/Rechts; philosophisch: Wissenschaft, Zeit) und auch weniger auf der Hand liegende Baustellen besichtigt: Tiefseelaute, Walkrebs, Löcher (letzteres eine sehr feine Hommage an Tucholsky).
Richtig klasse wird das Lexikon dann, wenns um die Hemmnisse konkreten Erkenntnisgewinns geht (Empirie, Messmethoden, Statistik). Insbesondere bei der Betrachtung statistisch hinterfütterter Fragestellungen, Hinterfragungen von Kausalität oder der allgegenwärtigen Stochastik ist das Lexikon zum einen verdammt unterhaltsam und trotzdem (bzw. deswegen) anschaulich und für einige Lern- bzw. Verstehenseffekte gut. Ich komm immer auf die Esoscheiße zurück, aber gerade im Gegensatz zu selbiger zeigt das „Lexikon“ eben, wie Wissenschaft funktioniert, wie sie Wissen vom Nichtwissen trennt, welche Qualitätsmaßstäbe eben angelegt werden müssen, um wenigstens eine ernstzunehmende Hypothese aufgestellt zu bekommen und warum die behandelten Fragestellungen so (noch) nicht letztendlich beantwortet wurden. Und nicht zuletzt vermittelt es die Faszination, wenn man dem Sumpf des Nichtwissens dann tatsächlich mal ein Stückchen festeren Boden abgerungen hat – trotz der Ausrichtung entlang an Themen, wo dieser Prozess aktuell eher noch vom Scheitern geprägt ist.
Wo musste ich stirnrunzeln? Manchmal geraten mir die lockeren Einwürfe etwas zu launig, aber da mag der Geschmack unterschiedlich sein. Ich brauch nicht regelmäßig aufheiternde Einschübe, auch wenn deren Wortwitz in der Regel prima ist – manchmal lenkts mich ab, das eine oder andere mal schien mir eine Pointe mit Verständnisunschärfe erkauft, aber wie gesagt: Korinthen. Ansonsten stört mich an den meisten einzelnen Kapiteln, dass sie zu kurz sind – ich hätt noch ein paar Seiten weitere Erläuterungen, Denkansätze und Berichte des Scheiterns vertragen. Ist das ein Grund zum Stirnrunzeln? An sich nicht, das Buch macht Lust aufs Weiterrecherchieren und gibt ein wenig Handwerkszeug dazu mit, um Kluges von der Esoterik zu trennen. Irgendwann zwischenrein fehlten mir ein wenig die Grafiken (beim Text über Chiralität fiels mir auf, dass man hier hätte veranschaulichen können), aber auch hier denk ich, ist a) verschmerzbar und macht b) Lust zum Weiterrecherchieren.
Zum Schluss folgt noch eine kurze Nachbereitung der im ersten „Lexikon des Unwissens“ aufgemachten Fässern und des Fortschritts seitdem, und dann ist nach kurzem Quellennachweis der Lesespaß nach 300 Seiten rum.
Wie im Ankündigungspost geschrieben: Im Regal steht das Lexikon des Unwissens recht schön neben Carl Sagans „Der Drache in meiner Garage“, das meine ich als ausdrückliches Kompliment, denn beide Bücher vermögen aufs Wunderbarste, die Faszination und die Stärken des wissenschaftlichen Erkennnisprozesses zu vermitteln. Sagan entlang ihrer Erfolge, Passig entlang der (vorerst gescheiterten) Versuche. Lesen kanns jeder, der sich ein wenig für Wissenschaft im Allgemeineren interessiert und dabei nicht ein Lieblingsfeld beackern will. Selber find ich nicht die „Einzelthemen“ am erkenntnisfördernsten, sondern insbesondere die „zugrundeliegenden“ Methodiken und Konzepte – Theoriefindung, Prüfbarkeit/Falsifizierung, Empirie, Statistik, Kausalität. Wer dazu einen schön lesbaren und lockeren Einstieg haben will: you got it.
Buch gibts hier, Errata (vermutlich demnäxxt) dort. [Opt7_Microdata_Product_410443510]
Aleks Scholz heißta, wie auf deinem Foto zu erkennen.