Spätestens nach „The Witcher 3: Wild Hunt“ kennen die meisten den werten Geralt von Riva, ich hatte seinerzeit nur Teil 1 durchgespielt, damals am Rande mitbekommen, dass es auch einen Fantasyzyklus hinter der Game-Geschichte gibt und nun im Zuge von Wild Hunt auch nach und nach die Hexer-Romane von Andrej Sapkowski gelesen, und was soll ich sagen: das ist richtig gut geschriebene Fantasy, die ich weiterempfehlen will, ob man nun Witcher gespielt hat, es zumindest kennt oder nichts von alledem.
Sapkowski selber wollte vom Spiel gar nichts wissen, irgendwo stieß ich sogar auf ein sinngemäßes „Trittbrettfahrer des Bucherfolgs“-Statement, wobei er meines Erachtens nach Project Red Unrecht tut, weil an sich alle Witcher-Teile story- und charaktertechnisch richtig fein waren. Sehr gut gemachte Spiele und ein sehr gut gemachter Zyklus, ich würde sagen, Spiel und Zyklus haben sich jeweils durchaus verdient. Vorab noch ein unvermeidlicher Vergleich: Der Hexer war nach dem „Lied von Eis und Feuer“ der erste Fantasy, den ich angerührt habe, und er hats gut weggesteckt. In der Form kaum vergleichbar, aber „qualitativ“, wenn man das so sagen kann, allemal die Liga. Wenngleich komplett „anders“.
Der Zyklus, die Bücher, die Reihenfolge – die Witcher-Bücher sind auf amazon und Konsorten gelegentlich verwirrend sortiert. Wir haben zwei Bände „Einzelerzählungen“ (Der letzte Wunsch, Das Schwert der Vorsehung), einen „Einzelroman“ (Zeit des Sturms) und fünf Bände Hexer-Zyklus (Das Erbe der Elfen, Die Zeit der Verachtung, Feuertaufe, Der Schwalbenturm, Die Dame vom See). Anders, als die etwas überdramatisch-fantastischen Titel fürchten lassen, ist die Übersetzung aus dem Polnischen (soweit ich das beurteilen kann) prima – da stolpert nichts, da gibts viel Wortwitz und trockenen Humor und einen Wortschatz, der mit erfrischender Breite erfreut und dabei nicht wichtigtuerisch rüberkommt. Sapkowski schreibt und erzählt klasse. Wer bisher so dachte, Oh, über die fetten Games gehypte Fantasy-Massenware für die Extrakohle mit den Büchern zum Spiel – man kann falscher kaum liegen.
Worum gehts? Geralt ist ein Hexer – einer von wenigen Mutanten, die gezielt verändert/trainiert wurden, um gegen allerlei Monster zu kämpfen, die die Welt seit einer Sphärenkonjunktion heimsuchen, bei der massenhaft verschiedene Lebensformen die Welten wechselten. Entsprechend bunt ist die Fauna/Gesellschaft in Sapkowskis Welt, die wenig bis nicht versteckt eine Parallelwelt der unsrigen ist. Wir haben das Standardrepertoire der High Fantasy – Elfen, Zwerge, Magie, Drachen, Vampire, einmal die geballte Ladung. Wir haben eine detailreich ausgebreitete Gesellschaft mit ihren kleinen und großen Königreichen, Gilden, Zirkeln und einer lebhaften Politik. Wir haben einen Helden, der hervorragend kämpft, mit trockenem Humor glänzen und dennoch mit mutationsbedingter Empathielosigkeit hadern kann. Später noch eine geheimnisvolle Schönheit mit unbekannten Mächten, große, namenlose Gefahren und den dringenden Auftrag an unseren Helden und seine zusammengewürfelte, unwahrscheinliche Gesellschaft, gegen alle Widrigkeiten in einer längeren Queste die Welt zu retten. Wie unschwer zu erkennen: Sapkowski bedient sich erfrischend hemmungslos quer durch alle möglichen Sagen, Mythen und Fantasywerken. Und jetzt könnte man sagen, OK, schön, das kennt man alles, aber wirklich alles schon. Korrekt. Der Punkt ist aber: Sapkowski macht das einfach richtig gut. Mit einem Abstrich, zu dem ich am Ende komme.
Die Hexer-Geschichten vor dem Zyklus. Man sollte sie in der Tat vorweg lesen, auch wenn man von den Spielen her vielleicht vor allem gespannt auf die „Hauptstory“ ist. Den „Einzelroman“ (Zeit des Sturms) kann man zwischen den Kurzgeschichtenbänden „Der letzte Wunsch“ und „Das Schwert der Vorsehung“ lesen, wenn man alles exakt chronologisch will. Wenn man keine Kurzgeschichten mag, Sapkowski aber „in der Langform“ probelesen und nicht gleich mit dem Zyklus anfangen will, gehts aber durchaus auch vorher. Wie ists? Schön, bildreich und zuweilen wortgewaltig erzählt, gelegentlich haarscharf am Pathos entlang- oder mitten in selbigen hineinlavierend, wobei ich mich fragte, trägt er jetzt auf, weils eben so sein muss, oder weil er eben auch die Klischees seines Genres kennt und eben schmerzbefreit auch mal schön feste reintritt, wenns passt? Ich fands in Ordnung. Über die einzelnen Kurz- und die Langgeschichte entwickeln sich die Charaktere prima, ohne dass man das Gefühl hat, zum x-ten mal die Zeilenschinder gelesen zu haben, mit denen einem in manch anderen Zyklen die Dramatis Personae Buch für Buch erneut vorgestellt werden.
Tja, und der Zyklus. Groß angelegt, detail- und facettenreich ausgearbeitet. Überhaupt hat man irgendwann das Gefühl, der Literaturkritiker Sapkowski macht den Rundumschlag durch alle Längenklassen eines Genres, das er ausgiebig gelesen, in vielen Teilen gut und in vielen anderen schlecht gefunden zu haben, bedient sich bei allem, was ihm gefallen hat und zeigt den anderen, wie das ordentlich geht. Das sieht man teils an den zahlreichen Motti und Kapitel-Einleitungszitaten, wo er sich hemmungslos quer durch die Literatur dieser und seiner Welt bzw. Kultur bedient, von Tolkien über Shakespeare, diversen Chinesen und mittelalterlichen Philosophen, zur neckischen Verneigung an Mario Puzo („Wenn du Gerechtigkeit willst, heure einen Hexer an“) bis hin zu den Werken seiner Romancharaktere: insbesondere Rittersporn wirkt in den Zitaten aus seinem „Ein halbes Jahrhundert Poesie“ deutlich sympathischer und nachdenklicher als in seiner Rolle als Romanfigur.
Wo bleibt das Negative? Hier wie auch im Zyklus, die Abstriche zum Schluss. Subjektiver Eindruck hin oder her, vieles, was in den ersten Büchern gern gelesenes Stilmittel ist, wird in den letzten Büchern gelegentlich nervig, und es liegt dran, dass Sapkowski es übertreibt, nicht, dass man der Sache überdrüssig wird. Vieles wird immer mit einem „erzählenden Rahmen“ versehen – jemand macht sich Jahre oder Jahrzehnte später Gedanken, wie das damals war mit der Geschichte von Geralt, igrendwer erzählt ganz woanders jemandem, was passierte, und in diesen verschiedensten, häufig wechselnden und zum Schluss auch verschachtelten „Erzählsettings“ wechselt die Geschichte dann zum Protagonisten. Nun ist die High Fantasy kein Thomas Bernhard, und wenn bei letzterem eine „Sagte X, erzählte Y, schrieb Z“-Verschachtelung auch in der Langstrecke vollkommen in Ordnung ist, treibt es gegen Ende des Zyklus bei Sapkowski schlicht Wildwuchs und wird mittelfristig ärgerlich. Möglicherweise auch durch die Einbettung in diese „Erzählungs-Matroschka“ wirken dann gelegentlich auch die Querverweise und Referenzen an Parallelwelten/Sagen/andere Fantasy irgendwann tendenziell zu dick (oder insbesondere zu lang) aufgetragen.
Das ist an sich aber verkraftbar und wird über die längste Zeit vollkommen aufgewogen dadurch, dass Sapkowski gute Geschichten gut erzählt. Was in meinen Augen hingegen wirklich traurig ist: ich kann mir nicht helfen, ich hatte im letzten Band das Gefühl, jetzt hat er die Lust verloren, will fertigwerden, hat zwar ein vollkommen okayes Handlungsgerüst, aber schlicht keine Puste und keine rechte Motivation mehr. Er beherrscht noch immer sein Handwerkszeug, er will so solide weiterschreiben, wie er angefangen hat, aber die Erzählrahmen geraten dann eben immer den Ticken zu langatmig, die Kulminationspunkte irgendwie den Ticken zu glanzlos. Und irgendwie ist man erleichtert, dass er es dann noch zu Ende gebracht hat, und dass es zu Ende gelesen ist, bevor das zu Ende schreiben offenkundig zur Pflichtübung wurde.
Diese Abstriche von meiner Seite – ansonsten aber eine Empfehlung an alle, die wahlweise am Spiel oder am Lied von Eis und Feuer ihre Freude hatten und nicht wissen, was sie sich bis zum nächsten Band angesichts der unübersichtlichen und an Nieten reichen Fantasyschublade antun wollen.