Eher schon seit drei Jahren bin ich die Wochenenden recht regelmäßig am Mirker Bahnhof bzw. Utopiastadt anzutreffen, besser gesagt an der GPA, die gängige Abk. für die Gepäckabfertigung. Folgendes wird wahrscheinlich ein Mischmasch aus den Themen
– öffentliche Fotodokumentation größerer Projekte
– Selbstwirksamkeit und Stadtteilentwicklung
– Motivierung und Rekrutierung in Ehrenamtsprojekten
– Piwigo, Bildergalerie-Plattform und Apps
Kurz zum Einstieg: Utopiastadt, der „andauernde Gesellschaftskongress mit Ambition und Wirkung“ ist grobgefasst das „Dachprojekt“ einer Menge Aktivitäten am ehemaligen Mirker Bahnhof – offene Werkstatt/Fablab/Hackerspace, Kunst und Kultur, Fahrradschrauber und Fahrradverleih, Stadtgarten, Veranstaltungsräumen, Gastro… Und wie der Name schon sagt, man kann eigentlich sehr, sehr viel dort machen, nur brauchen wir halt auch die Infrastruktur dafür. Unter anderen besteht die in der GPA, der ehemaligen Gepäckabfertigung, wo ich vor drei Jahren im Winter mal begonnen habe, beim Dach neu decken mitzuarbeiten und seitdem mit einer Latte anderer Leute nach und nach das Gebäude wieder in Schuss bringe. Ziel: dort sollen Hackerspace, Werkstatt, Fablab, Fahrradschrauber einziehen, natürlich besser und schöner und geräumiger/besser ausgestattet wie in den bisherigen Unterkünften.
Um den Bogen zu schlagen: seit etwas über einem Jahr dokumentieren wir das auf der bahnhofssanierung.de und seitdem, haben sich dort etwas über tausend Bilder angesammelt. Das ganze rennt mit Piwigo, das kann nicht viel mehr als Bildergalerien verwalten, das aber recht gut. Weiter gibts Apps für Android und iOS, und mittels derer kann man direkt von der Baustelle knipsen, was läuft, reinladen, fertig. Und das ist eigentlich auch der Hintergrund gewesen, denn das Ganze sollte nicht nur reine „öffentliche Fotodokumentation größerer Projekte“ sein, sondern auch was anderes.
Wie wahrscheinlich bei allen Projekte dieser Art ist auch bei uns die Frage, wie man neue Leute gewinnt, die Bock haben, an Utopiastadt im allgemeinen und der GPA-Renovierung im Speziellen mitzuwirken. Und nun sind wir ja nicht mal ein Haufen Aktivisti, die irgendwo im stillen Kämmerlein sitzen und machen, sondern sind auf einem großen und gut besuchten Gelände unterwegs. Warum sind dort zwar sehr viele Leute, denen das offenbar gefällt, aber deutlich weniger Konversion in Leute, die da mitmachen?
Das ist einmal trivial: der Anteil an Machenden ist immer deutlich niedriger als der der Konsumierenden, und ich mein das nicht böse oder abfällig. Dann gibts aber noch das Problem, dass es von außen schwer ersichtlich ist, was eigentlich a) passiert und b) wen und wessen Knowhow man da brauchen könnte. Und dann gibt es noch das generelle Einstiegsproblem als wiederkehrendes Grundproblem solcher Strukturen. Viele Leute wollen sich vielleicht „engagieren“, dann wäre für sie das Beste die Möglichkeit, direkt was klar produktives zu tun.
Nun sind grade die Renovierungsgeschichten nicht mehr wirklich niedrigschwellig. Man sollte Knowhow mitbringen, schnell draufkriegen oder die Selbstsicherheit haben, halt auch mal einfach was zu probieren. Die niedrigschwelligeren Sachen sind oft keine Option: es wäre irgendwie scheisse, wenn jemand frisch dazukommt und dann zum Müllzusammensammeln geschickt wird, weil er eben noch keine Kreissägeneinweisung hat oder keinen Holunder schneiden kann. Viele der Leute (ich, z.B.) sind jetzt nicht ganz vorn dabei, andere anzulernen, an der Hand zu nehmen etc., und gelegentlich stehen auch Arbeiten an, wo es *nicht geht*, oder nur sehr schwer, vor allem, wenns Termindruck gibt wegen irgendwas, der Balken heute halt gesetzt werden muss und bis man soweit ist, ists halt halb sechs. Und ich geb ja gern nen Crashkurs im Elektrodenschweißen, aber dafür ist nicht immer Zeit und halt auch nicht immer Bedarf.
Die Folge: wir ziehen nur Leute an (bzw,. halten nur die), die schon einiges an Knowhow und Engagement mitbringen, fehlt eines oder beides, wirds schwer. Hinzu kommt der Faktor Zeit und eben auch die Fähigkeit, *selber* zu finden, was einem liegt, worauf man Lust hat, was man kann und was vor Ort dann auch geht.
Nun der Bogen zurück. Wäre es deutlich transparenter, wenn man direkt sieht, was *grade passiert* oder in der Vergangenheit gemacht wurde und von wem, dann spricht man schneller die Leute an mit den „Oh, das wollt ich auch immer mal“, „Ach, das könnt ich auch..“ „Wow, das kann man hier machen?“ – Triggern. Wie macht man das transparent? Klar, Bilder, Webseite, verteilen. Idealerweise direkt/in Echtzeit, meine Traumvorstellung war schon immer, dass wer im Hutmacher sitzt und irgendwo die Live-Diashow läuft, auf der man sieht, was *gerade jetzt* dreißig Meter weiter passiert. Bis wir soweit sind, bin ich mit dem bestehenden Setup aber auch glücklich.
Piwigo. Die Software fühlt sich mir ein bisschen nach späten 2000er Jahren an, aber das ist an sich OK. Abgehangen, solide, ein großer Pool von Addons und, nun, Apps. Bei Sensorgrafie mehr zu den Tech- und Plugindetails, ich schließ mich dem an (Einschränkungen: die WP-Plugins sind weitgehend outdated, Installation lohnt aktuell nicht). Zur Android-App ließ ich mir sagen, die kostenpflichtige Version sei auf Dauer empfehlenswert, weil die Gratisgeschichte mit Werbung usabilitytechnisch nervt. iOS kann ich mich nicht beschweren.
Ihr wichtigster Effekt bislang: nicht, dass man unglaublich viele Leute neu erreicht, sondern dass wir tatsächlich regelmäßig Fortschritte dokumentieren und das Ganze zugänglich ist. Ich bitte, das nicht zu unterschätzen: wenn man ohne konkretes „da kommt der Kram dann hin“-Ziel versucht, sowas über längere Zeit zu dokumentieren, lässt mans irgendwann, ersäuft in x Privatpools an Bildern, die man nicht mehr zeitlich etc. zuordnen kann oder, bei uns eher bislang, man macht einfach keine.
Und das macht einen Unterschied. Wir hatten bis dahin Confluence (nehmen wir immer noch zum Planen, aber für Vorher/Arbeit/Fertig-Bilder ist das nicht gedacht und lässts sich nur schwer hinentfremden. Weiter ist da natürlich noch die UST-Homepage, ich bloggte vor längerem mal was über die GPA-Sanierung, damits nicht nur „die abgesperrte Baustelle im Osten“ ist und eben um ein wenig „Das passiert dort, auch Bock drauf?“ zu kicken, aber was da passiert, ist nicht regelmäßig verbloggbar, die Vorläufe sind zu lang, der Aufwand zu hoch und außerdem machts niemand, weil alle wichtigeres zu tun haben, auch das meine ich absolut unironisch, es *ist so*.
Es macht nen psychologischen Effekt, wenn man mal nachsehen kann, wie viel in den letzten zwei Monaten passiert ist, grade, wenn man in Arbeiten hängt, bei denen man nicht direkt „ein Stück“ sieht. Es macht Spass, was zu machen, knipsen, hochladen und wissen, heute abend gucken ein paar Leute aufs gesammelte Tagewerk. Nicht zuletzt ists auch ohne den vollausgebauten Outreach eine gute Möglichkeit, auf die Frage, was man da eigentlich mache, ein „guck mal auf…“ zu werfen. Nochmal: das „Man hält drauf und lädt hoch“ ist meines Erachtens nach das Killerkriterium. Das in datensparsam/selbstgehostet: dann ist man recht schnell bei Piwigo, wenn man nicht scharf auf die üblichen Clouds ist, wobei auch dort kollaborativer Kram auch keine reine Freude zu pflegen ist.
Tja, und jetzt bietet es sich doch nochmal an, den Bogen zu den Stichwörtern „Selbstwirksamkeit und Stadtteilentwicklung“ zu schlagen. Für beides ist eine Plattform, auf der so einfach, niedrigschwellig und damit einhergehend so regelmäßig wie möglich dokumentiert werden kann, was passiert und *was man machte*, sehr hilfreich und unterstützend. Es veranschaulicht schwer, was für eine Wirksamkeit *man selber* bzw, eine Latte Leute entfalten können, und es zeigt ebenso, wie Dinge vorangehen, die von heute auf morgen eben nicht direkt die Erfolgserlebnisse verschaffen.
Ich denke, beides ist schwer zu überschätzen. Dinge, die länger brauchen, laugen einen irgendwann aus, und man braucht das „Fortschritt checken können“ jenseits von Listen und abgehakten Todos, und man braucht das griffbereit. Man braucht das aber auch und vor allem „nach draußen“, denn mein Eindruck ist, dass es eben vielen nicht wirklich klar ist, was vor den diversen Haustüren alles so passiert, warum und durch wen, und dass es da Räder zu drehen gibt.
Eine meiner Erfahrungen (an sich ein extra Blogpost, „Was erzählten mir vorbeikommende Menschen den Sommer über, als ich den Grünstreifen anlegte“) war, dass es den meisten eben *nicht* klar war, dass da Leute in ihrer Freizeit und weil sie Bock drauf haben, was machen, und halt auch was größeres. Dass es das gibt, dass das geht. Warum? Weils Spass macht und alle das Ergebnis toll finden. Himmel, vor ein paar Tagen beschwerten sich Leute im Hutmacher, die schönste Wiese Wuppertals sei gemäht worden, das wäre ein Unding. Ich glaube, das ist eines der schönsten Komplimente gewesen, die ich je kriegte. Und der Galerie sei Dank, wir haben Bilder.
Moinsen! Voll guter Artikel! Find prima, was Du und wie Du schreibst! Schade, dass nicht mehr Utopisten Interesse haben, an diversen Themen wie Dokumentation, Transparenz arbeiten…
Beste Grüße vom Zottel…
Guggs,
ich weiss nicht recht, wie weit es grade eine „Interessen“-Kiste ist. Aktuell fehlts ein wenig an den Kanälen, nachdem die Homepage ein wenig auf Sparflamme rennt. Das andere ist dann auch gleich weider das „offizielle“ – es ist eine Sache, intern die eine oder andere Geschichte zu kommunizieren, aber sobalds dann „richtig öffentlich“ ist, kann ichs auch gleich wieder nachvollziehen, dass nicht jeder direkt „Hier“ schreit. Himmel, *ich* mach mir gelegentlich Gedanken drüber, inwieweit was wie OK ist, weils möglicherweise als „offizielle“ Außendarstellung von UST verstanden werden könnte, und ich hab ein paar Jahre meine Brötchen damit verdient, Dinge ins Internet zu schreiben. Von daher, ich kanns durchaus nachvollziehen, wenn andere sagen, meh, das macht besser jemand anderes…