Vorab: alles gut verheilt, Genesungswünsche liegen in ausreichendem Maß vor. Vor einigen Wochen senste ich mir die Strecksehne am rechten Daumen durch und bin im Nachhinein trotz eines beruflichen Hintergrunds in Sachen Wundversorgung doch etwas erstaunt, was das alles an Geschichten und Erfahrungen diversester Art nach sich zog und dachte, ach, schreib mal auf. tl;dr: Verletzungs-/Verarztungsgeschichte, Mehrfachverwertung der Folgen, Erfahrungen und Beobachtungen, weiter ein paar Covidioten und eingestreute Selbstwirksamkeitsüberlegungen, weil hey, Selbstwirksamkeit!
Das Ganze fängt prinzipiell mit meiner teilzeitlandwirtschaftlichen Prägung an, aber besser im ersten Coronasommer, als ich den Homeoffice-Koller abends mit der Grundsanierung eines Brombeerdschungels zwischen Mirker Bahnhof und Gepäckabfertigung auf Utopiastadt bekämpfte. Seitdem ist da ein Grünstreifen mit etwas Obst, Wein und Wiese, für den ich mich seitdem ein wenig zuständig fühle. Und nachdem ich zwar ein Faible für schweres Gerät habe und der Freischneider ein machtvolles, erhabenes Werkzeug ist, mit dem man die Materie dem eigenen Willen unterwerfen kann – 98dB neben Fahrradtrasse und Gastronomie muss nicht sein, Ruppsel hatte seit Jugendzeiten eine Sense in der Hand, eine Sense muss her. So zweimal im Jahr wurde sie seitdem geschwungen und zwischenrein gewetzt, und dann kam der Wonnemonat Mai 2024, Ruppsel packt die Sense aus, setzt den Wetzstein an und beim zweiten Zug rutscht er an einer Scharte ab und zieht sich das Gerät einmal quer über den Daumen. Kein Halm gesenst, aber holla, glatter Schnitt.
Ironie dabei: vor schwerem Gerät hab ich durchaus Angst, und bei sowas wie der Kettensäge fühlt sich das so richtig wie nur was an, nur die Sense fiel da nie bewusst drunter. Jahrelang im Frühjahr aus dem Keller geholt, gewetzt, gesenst, im Herbst wieder rein und gut. Ich ahne grundsätzliche Wahrheiten der Art „Grade da, wo man sich sicher fühlt und nicht mehr groß zu denken müssen meint, passiert die Scheiße“ und mag interessierte Mitlesende teilhaben lassen.
Die werten Kollegen wurden per Whatsapp befragt, ob das was für den Doc sei, sie sagten ja, und ich solle fleißig Fotos machen, gute Wundbilder und vielleicht ne Fallbesprechung. Ich stiefelte zum Doc, der verpflasterte provisorisch und verwies mich weiter an die Handchirurgie im KH nebenan, dort wurde ich weiterverwiesen an die Handchirurgie woanders, weil die viel besser sei. Ich meine das mitnichten klagend oder ironisch, das war alles tatsächlich ganz hervorragend. Bis auf das Detail, dass alle erst mal den Daumen runterdrückten und meinten, ich solle mal gegenhalten: klar, Test, ob die Sehne noch zieht, aber hmpf, unangenehm, cannot recommend. Irgendwas zog ein kleines bisschen, aber nicht so richtig.
Im Ziel-Krankenhaus waren alle glücklich über meine tollen Venen, ob der Azubi den Zugang legen dürfe? Klar darf er, nach zuerst einer getroffenen Klappe und dann einer geplatzten Vene machte es dann doch die Oberschwester, aber wir lachten viel dabei. Weil andere Notfälle alle für die Innere waren, kam ich flugs dran und wurde direkt ernüchtert: natürlich werde ich erst mal dabehalten. Obligatorisches Daumendrücken und Gegenhalten, naja, die Sehne habe zumindest nen Schlag und sei wahrscheinlich durch, sollte man richtig im OP machen, wer weiss, ob das Gelenk was abbekommen hat. Die Näherei wurde auf den nächsten Vormittag vertagt und ich war erst mal sauer, weil eigentlich wollte ich heim. Nun ja.
Bevor alles in eine KH-Geschichte eskaliert: OP lief fein, ich sollte drei Tage drinbleiben wegen Antibiose, bettelte und flehte, bis ich nach zwei Tagen gehen durfte, hatte lange Abende im Raucherpavillon, wo die Diabetiker ihre Gutenachtbiere tranken, und am letzten Abend zwei geoutete Covidioten, die sich nach ausreichend Alk drüber verbreiteten, dass das mit Corona ja alles Panikmache, lächerlich und irgend eine Aktion zum Volksverdummen war, passiert sei ja gar nichts. Ich meinte, glücklicherweise stünden wir gerade vor dem Krankenhaus, sie könnten ja direkt das Personal fragen, wie deren Wahrnehmung zum Thema gewesen sei, das wollten sie dann auch nicht. Zum Glück durfte ich am nächsten Tag raus. Man weiß ja, was für ein Elend es ist, aber das im echten Leben und dermaßen offensichtlich merkbefreit, das tut schon weh und ist physiologischen Heilungsprozessen nicht zuträglich.
In der Folge lernte ich noch ne Menge: Sehnen sind das am schlechtesten versorgte Gewebe im Körper überhaupt, selbst Knochen sind in der Regel besser angebunden. Deswegen dauert das Heilen einer Sehne lang. Nach so drei Wochen wurde aus der Schiene ne Orthese und der Daumen damit wieder etwas einsetzbarer, aber schlussendlich halt sechs Wochen ruhiggestellt. Was in der Folge eine Physio notwendig macht, weil das Gelenk danach erst mal wieder dran erinnert werden muss, dass es als Gelenk sowas wie gelenkig sein soll. Am Rande: bürokratisch vollkommen entspannt, was aber damit zu tun haben könnte, dass die Sache nicht über meine normale gesetzliche KV lief, sondern als Unfall im Ehrenamt über die zuständige BG. An der Stelle will ich jetzt gar nicht das Fass mit der Mehrklassenmedizin aufmachen, eher ein „Wenn ihr was ehrenamtlich macht: im Vorfeld wissen, wies diesbezüglich aussieht, ist hilfreich“. Ich erinnerte mich dran, als ich dann tatsächlich noch mit Orthese, aber ansonsten ungebeugt von der Schärfe des Schicksals besagte Sense und den Wetzstein erneut aus dem Keller holte und das Stück dann mit fünf Wochen Verspätung senste. Dämonen besiegen, solang sie noch klein sind und so.
Ansonsten natürlich kontinuierlich den Heilungsverlauf dokumentiert, deswegen nun: Fallbesprechung. Wir machen ja Wundversorgung, die Normalbevölkerung denkt an die üblichen Pflaster und Verbände, wohingegen ein Großteil des Felds von chronischen Wunden bestritten wird und die sind verbreiteter und langwieriger, als man denkt. Seit längerer Zeit gibts bei uns regelmäßig Fallbesprechungen insbesondere chronischer Wunden (cw: chronische Wunden, obviously), die Verläufe sind länger, als man vielleicht meint und oft, aber nicht immer steht am Ende ein „abgeheilt“. Akute Geschichten sind qua definitionem in der Regel weniger langwierig und grundsätzlich: es ist ja auch mal schön, wenn in so einer Sammlung was komplikationslos abheilt. Jedenfalls: Schön, wenn so eine Geschichte zu was gut ist. Weniger schön: von einem „51jährigen Patient, Raucher“ zu lesen und selber damit gemeint sein, aber nun.
Die eingesetzte Standard-Nahttechnik nennt sich „Einzelknopfnaht“ oder „einfache Knopfnaht“, was mir bis zum Fadenziehen und dem Gedanken „gibts da was hochaufgelöstes in der Wiki?“ auch nicht bewusst war (es gibt nun was). Aber vor allem gabs dann eine Fallbesprechung, die die Quote der „Wunde wurde direkt ordentlich versorgt und heilte komplikationslos ab“-Fälle erhöhte. Wobei sich klar bei den Geschichten, wo es Probleme gibt, mit Sicherheit mehr lernen lässt, aber ich glaube, das ist ja auch mal schön zu lesen.
Was mich wirklich überraschte: Fallbesprechung als coolen Work-benefit auf Linkedin geschmissen, direkt schlappe 1400 Views. OK, es ist nicht der everyday Benefit, mit dem man dort hausieren geht, aber mein Netzwerk ists einfach nicht wirklich und so wars dann doch überraschend. Jetzt gibts noch irgendwann ne Online-Fallbesprechung, und dann denke ich, sind die eingangs erwähnten fünfzehn Minuten Ruhm rum,
Jedenfalls, um den Bogen zu schlagen: so ärgerlich der Anlass, so erstaunlich teils die Ecken, in denen sich Interessantes erfahren und Wissenswertes weitergeben ließ.
2 Responses to Fünfzehn Minuten Ruhm dank Sense plus Daumen